Die Wirtschaft neu denken
Wenn die Menschheit nicht ihre Lebensgrundlage verlieren will, muss sie handeln. Doch mit welchen politischen Massnahmen lassen sich Klima, Biodiversität oder Böden wirksam schützen? Was hält Entscheidungsträger davon ab, sie zu ergreifen? Diese Fragen untersucht das neu gegründete FutureLab CERES am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das die Werner Siemens-Stiftung von 2022 bis 2031 unterstützt.
Die einfachen Fragen sind oft die besten – und manchmal am schwierigsten zu beantworten. So auch jene, die am Ursprung des FutureLabs CERES steht: Weshalb geht es so langsam voran? Die Erde erwärmt sich in rasantem Tempo. Wälder werden abgeholzt. Die Artenvielfalt schwindet. Und trotzdem zögern die Politikerinnen und Politiker, wirksame Massnahmen zum Schutz des Planeten zu beschliessen.
Im Alltag würden häufig zwei Erklärungen dafür vorgebracht, sagt Ottmar Edenhofer, Co-Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in Potsdam, südwestlich von Berlin. «Die einen machen moralische Verfehlungen der Politiker und Politikerinnen dafür verantwortlich. Die anderen üben sich in Fatalismus und finden, es sei sowieso zu spät.» In Tat und Wahrheit liegen die Gründe tiefer. Regierungen verfolgen nicht nur das Gemeinwohl, sondern müssen unterschiedlichste Interessensgruppen berücksichtigen und verfügen oft gar nicht über die notwendigen Handlungskapazitäten. Jeder Staat hat seine eigenen Herausforderungen, Interessensverflechtungen und Machtstrukturen. «Wie die Akteure und Gegebenheiten zusammenspielen und welche Barrieren verhindern, dass Staaten handeln, hat die Wissenschaft bislang nicht hinreichend verstanden», sagt Edenhofer.
Neues Wirtschaftssystem
Genau hier setzt das FutureLab CERES am PIK an, das die Werner Siemens-Stiftung ab 2022 für eine Dauer von zehn Jahren finanziert. CERES steht für «Political economy for inclusive wealth and sustainability», was auf Deutsch so umschrieben werden kann: «Die politische Ökonomie des inklusiven Wohlstands und der Nachhaltigkeit». Das Ziel ist nichts weniger als die Neuausrichtung eines Wirtschaftssystems entlang neuer Prioritäten. Heute gilt das Bruttoinlandprodukt (BIP) als Indikator für Wohlstand und für den Erfolg einer Volkswirtschaft. Doch blendet das BIP den Wert der Natur aus. Staaten entrichten sogar Subventionen, die dem exzessiven Naturverbrauch Vorschub leisten – beispielsweise in der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft oder für die Gewinnung fossiler Energie.
Geschrumpftes «natürliches Kapital»
Gemäss Schätzungen ist das «natürliche Kapital», also die natürlichen Ressourcen, der Erde in den letzten 30 Jahren um 40 Prozent geschrumpft. «Die Menschheit lebt also bereits von der Grundsubstanz und untergräbt damit den Wohlstand kommender Generationen», sagt Ottmar Edenhofer. «Um die globalen Gemeingüter wie Ozeane, Biosphäre und Atmosphäre zu schützen und nachhaltig zu nutzen, müssen sie künftig in die Berechnung von Wohlstand einbezogen werden.» CO2-Abgaben zum Beispiel seien ein Instrument, um die Auswirkungen der Kohle-, Öl- und Gasverbrennung auf die Atmosphäre zu quantifizieren – und zu steuern.
Ambitioniertere Demokratien
Wie gross die Nachhaltigkeitsbemühungen eines Staates sind, hängt von diversen Faktoren ab. «Es heisst zwar immer, die Mühlen der Demokratie würden langsam mahlen», sagt Edenhofer. «Aber wir sehen zum Beispiel, dass Demokratien in der Regel eine ambitioniertere Klimapolitik verfolgen als Autokratien.» Das hänge auch damit zusammen, dass demokratisch legitimierte Regierungen über eine grössere Handlungskapazität verfügten: Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in sie ist relativ hoch, und sie schaffen es leichter, Gesetze zu erlassen oder Steuern zu erheben. Die Wirkung von Steuern, Subventionen und Technologiestandards müsse besser verstanden werden, sagt Edenhofer: Führen sie tatsächlich zu einer Verminderung der Emissionen oder gibt es unerwünschte Nebenwirkungen?
Globale Gemeingüter fair bewirtschaften
Das FutureLab CERES untersucht in vier Forschungspaketen, wie Staaten zu einer gerechten und nachhaltigen Bewirtschaftung globaler Gemeingüter finden können:
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Im ersten Arbeitspaket nehmen die Forschenden die politökonomischen Realitäten in ausgewählten Ländern unter die Lupe. Sie untersuchen, wie politische Entscheidungen gefällt werden, wer welche Interessen verfolgt, welche Abhängigkeiten bestehen. Besonders interessant für solche Fallstudien sind Staaten wie Brasilien, Indonesien, Kolumbien oder der Kongo, denn ihnen kommt beim Schutz der natürlichen Ressourcen eine Schlüsselrolle zu. Sie verfügen zum Beispiel über eine enorme Biodiversität, sind stark von Klimaschäden bedroht oder erzielen hohe Einkommen aus fossilen Energien oder seltenen Erden. Und ihre Regierungen haben Schwierigkeiten oder zeigen wenig Willen, Massnahmen zum Schutz natürlicher Ressourcen umzusetzen. Die Forschenden wollen herausarbeiten, welche Hürden ein nachhaltiges Handeln in solchen Staaten verhindern.
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Das zweite Arbeitspaket soll aufzeigen, welche Nachhaltigkeitsmassnahmen funktionieren und welche nicht. «Heutige Forschungsmethoden bewerten meist nur die Wirksamkeit einzelner Massnahmen», sagt Ottmar Edenhofer. Regierungen setzen aber oft ganze Bündel um – Verbote, Abgaben, Subventionen, Dialoge und vieles mehr. Mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens, die riesige Datenmengen verarbeiten, will das FutureLab CERES die daraus resultierenden komplexen Zusammenhänge erforschen.
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Das dritte Arbeitspaket untersucht den Zusammenhang zwischen staatlicher Kapazität und inklusivem Wohlstand. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern haben Regierungen häufig wenig Möglichkeiten, Steuern und Verbote durchzusetzen – oder deren Folgen mittels Finanzausgleichen gesellschaftlich akzeptabler zu gestalten. Gleichzeitig sind diese Länder bereits jetzt stark von Schäden betroffen, die ihre Ursache im Klimawandel haben. Aufbauend auf den Resultaten aus den beiden ersten Arbeitspaketen, suchen die Forschenden erfolgversprechende Wege, wie Staaten unter solch komplexen Umständen Gemeinschaftsgüter schützen können.
- Das vierte Arbeitspaket fokussiert auf die internationale Dimension des Klima- und Umweltschutzes. Es untersucht, wie sich Nationen beispielsweise in Klimakonferenzen strategisch verhalten. Und es versucht, politische Instrumente zu finden, die mithelfen, eine ambitionierte, grenzüberschreitende Nachhaltigkeitspolitik zu beschliessen.
Neue Professur
Für die Leitung des FutureLabs CERES wird eine Professur eingerichtet. Bis zur Berufung, die voraussichtlich im Jahr 2023 erfolgt, übernimmt Ottmar Edenhofer interimistisch die Leitung. Um die Forschung möglichst schnell voranzutreiben, beginnt die Einstellung von Postdocs und Promovierenden für die vier Arbeitspakete sofort.
Beratung der Politik
Die Resultate des FutureLabs CERES sollen nicht nur die Forschung voranbringen, sie werden auch der Politik zur Verfügung stehen. Das PIK hat lange Erfahrung in Politikberatung, die auf hochwertigen Forschungsresultaten basiert. Dabei stellt es Entscheidungsträgern politische Optionen mitsamt ihren Auswirkungen transparent dar. So können diese die zentralen Stellschrauben für eine nachhaltigere Politik identifizieren – und entsprechend handeln.
Freiwillige Einschränkungen
Letztlich soll das FutureLab CERES also mithelfen, dass es rascher vorangeht beim Klima- und Umweltschutz. Ein Spaziergang wird das nicht. «Es ist das erste Mal in diesem Erdzeitalter, dass sich die Menschheit freiwillig einschränken muss», sagt Ottmar Edenhofer. Und als ehemaliger Co-Vorsitzender einer der drei Arbeitsgruppen des Weltklimarats weiss er, wie schwierig Verhandlungen um freiwillige CO2-Reduktionen oder andere Einschränkungen sind. Aber es sei nötig: Böden, Wälder, Gewässer und ein intaktes Klima hätten einen unschätzbaren Wert, sagt Edenhofer. «Zerstören wir sie, zerstören wir unsere Lebensgrundlage.»
Zahlen und Fakten
Mittel der Werner Siemens-Stiftung
10 Mio. Euro für 10 Jahre
Projektdauer
2022–2031
Interimistische Projektleitung
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Co-Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam bei Berlin, Deutschland
Projektpartner
Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin, Deutschland