Nobelpreisträger Benjamin List erforscht in einem neuen WSS-Projekt eine chemische Traumreaktion.

Gelingt die Traumreaktion?

Um die Klimaerwärmung zu bekämpfen, braucht es Methoden, um Kohlenstoffdioxid im grossen Stil aus der Atmosphäre zu entfernen. Der Nobelpreisträger Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung will dafür eine photokatalytische CO2-Spaltung entwickeln.

«Die Menschen, die verrückt genug sind zu glauben, sie könnten die Welt verändern, sind diejenigen, die es tun.»
Steve Jobs, Apple-Co-Gründer

Es sei ihm klar, dass seine Idee etwas verrückt klinge, sagt Benjamin List, der dann gerne auf das oben genannte Zitat von Steve Jobs verweist. «Aber eine verrückte Idee ist eine notwendige – wenn auch nicht hinreichende – Bedingung für eine revolutionäre Entdeckung.» Bei dem Geniestreich, den der Direktor der Abteilung für homogene Katalyse am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr (D) plant, geht es im Grunde um eine einzige chemische Reaktion – allerdings um eine, welche die Welt verändern könnte.

In einem ab 2025 von der Werner Siemens-Stiftung (WSS) unterstützten Projekt untersucht List die sogenannte photokatalytische Spaltung von Kohlenstoffdioxid. Mithilfe von Lichtenergie soll also Kohlenstoffdioxid (CO2) in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O2) umgewandelt werden. Oder als chemische Reaktionsgleichung geschrieben: CO2→ C + O2.

Man könnte diese Reaktion als künstliche, aufs Wesentliche reduzierte Photosynthese bezeichnen: Denn Pflanzen, Algen und manche Bakterien tun seit Jahrmillionen im Grunde dasselbe. Sie fügen allerdings dem CO2 Wasser hinzu und spalten das Ganze mit Hilfe von Licht in Kohlenhydrate und Sauerstoff: CO2 + H2O → CH2O + O2.

Das CO2 muss weg

Gelänge eine direkte, photokatalytische Spaltung von CO2, wäre das eine eigentliche «Traumreaktion». Denn sie könnte mithelfen, eines der grössten Probleme der Menschheit zu lösen: die Klimaerwärmung. Durch das Verbrennen von fossilem Kohlenstoff wie Kohle, Öl oder Erdgas ist der CO2-Gehalt in der Atmosphäre seit der Industrialisierung von ungefähr 280 ppm (Teilchen pro Million) auf 425 ppm angestiegen, was zu einem deutlichen Temperaturanstieg auf der Erde führt.

Die wichtigste Klimaschutzmassnahme ist und bleibt der künftige Verzicht auf fossile Energieträger. Doch der Umstieg auf erneuerbare Energien geht nur schleppend voran. Zudem wird wohl auch in Zukunft ein bestimmter Anteil an fossiler Energie gebraucht. Und von selber nimmt die erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht so schnell ab. «Alle Bemühungen, die Produktion von CO2 einzudämmen, werden nicht ausreichen, um das Weltklima zu schützen», sagt deshalb Benjamin List. Es müsse auch CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden.

Reine Kohle

Zwar gibt es bereits eine ganze Reihe von Ideen und Verfahren, um Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zu entnehmen. Insbesondere arbeiten Forschende und Start-Ups an Methoden, um aus der Luft oder Abgasen gewonnenes CO2 im Boden einzulagern oder für neue chemische Prozesse zu nutzen. Doch die CO2-Mengen, die der Mensch in die Atmosphäre entlässt, sind derart gross, dass es unbedingt zusätzliche Verfahren braucht.

Ausserdem hat Lists Reaktion gegenüber bisher verfolgten Methoden deutliche Vorteile: Insbesondere gewinnt man damit Kohlenstoff in seiner reinen Form. Als Kohle würde er sich viel einfacher und sicherer speichern lassen als das gasförmige CO2. «Und Kohlenstoff ist ein sehr vielseitiges Element», sagt Benjamin List. «Man könnte diesen ‹solaren Kohlenstoff› zum Beispiel als Grundlage einer nachhaltigen Chemieindustrie nutzen, daraus nachhaltiges Benzin herstellen, Elektrizität gewinnen oder ihn als Baustoff für Häuser oder Strassen verwenden.» Ein weiterer Vorteil, sollte Lists Vorhaben gelingen: Seine Traumreaktion läuft ohne Wasser ab, wäre also auch in trockenen Gegenden der Erde einsetzbar.

Es braucht viel Energie

Ob die neue Reaktion überhaupt im grossen Massstab umsetzbar ist, muss sich aber erst zeigen. Riskant – und vielleicht ein bisschen verrückt – ist die Idee vor allem, weil es sich um eine sogenannte Aufwärts-Reaktion handelt, in die viel Energie gesteckt werden muss. «Das ist nicht trivial, aber theoretisch ist es mit kostenlosem und quasi unbegrenzt verfügbarem Sonnenlicht machbar», sagt Benjamin List. Die Photosynthese der Pflanzen benötige sogar einen signifikant grösseren Aufwand –die Natur bekommt es trotzdem hin. Pflanzen und Algen erzeugen damit jedes Jahr hunderte Milliarden Tonnen Pflanzenmaterial und Sauerstoff.

Kommt hinzu: Wenn jemand die Voraussetzungen mitbringt, um unmöglich scheinende chemische Reaktionswege zu finden, dann ist es Benjamin List. Der 56-Jährige erhielt 2021 den Nobelpreis für Chemie, weil er eine ganz neue Gruppe von Werkzeugen zur massgeschneiderten Herstellung von Molekülen entdeckt hatte: Die von ihm entwickelte asymmetrische Organokatalyse kommt ohne den Einsatz von hochkomplexen Enzymen und ohne teure, giftige Metallen aus, um chemische Reaktionen zu beschleunigen. Stattdessen verwendet sie kleine organische Moleküle wie Aminosäuren.

Ein Riesenvorteil dieser neuartigen Katalysatoren ist ihre asymmetrische Wirkung. Wenn Chemiker neue Moleküle herstellen, haben sie es oft mit Situationen zu tun, in denen sich zwei verschiedene Moleküle bilden können, die – ähnlich wie unsere Hände – das Spiegelbild des jeweils anderen sind. Oft ist nur die eine, besser wirkende Version erwünscht: Insbesondere bei Medikamenten ist die Wirksamkeit von «Bild» und «Spiegelbild» oft nicht identisch.

Verschiedene Ansätze

Mit welchen Mitteln und Werkzeugen die photokatalytische Spaltung von CO2 gelingen kann, wird Benjamin List nun in den kommenden zehn Jahren untersuchen. Für seinen Projektantrag bei der WSS hat er gemeinsam mit seinem Team zwei Katalyse-Zyklen designt, welche eine lichtvermittelte CO2-Spaltung zumindest auf dem Papier ermöglichen. Dabei wird das Kohlendioxid in mehreren komplexen Schritten angeregt und mithilfe von Lichtenergie gespalten.

Eine zweite Stossrichtung, welche die Forschenden verfolgen werden, sind Katalysen auf Diamant- oder Kohle-Oberflächen. Solche Materialien, die selbst auf Kohlenstoff basieren, seien interessant, weil sie billig, ungiftig und wohl in grossen Mengen verfügbar wären, sagt List. «Aber man muss aufpassen, dass die katalytische Oberfläche nicht verrusst und dabei deaktiviert wird.»

Ein dritter Ansatz ist eine Biokatalyse mithilfe von Mikroben und Bakterien, die in der Lage sind, Kohle aus CO2herzustellen. Die Idee ist es, die Katalyseleistung solcher Organismen im Labor mittels gerichteter Evolution zu verbessern – also in Reihen von Experimenten stets jene Mutationen zu selektionieren, die das CO2 besonders effizient umwandeln.

Weshalb aber hat sich bislang kaum jemand mit dem nun vorgeschlagenen Reaktionsweg beschäftigt? Der benötigte Energie-Aufwand könnte sicherlich ein Grund dafür sein, sagt Benjamin List. «Manchmal übersehen wir aber auch die einfachsten und besten Lösungen.» Zumal es bisher wenig Grund für eine solche Reaktion gegeben habe. «Kohle und Luftsauerstoff gibt es in riesigen Mengen, warum hätte man sie künstlich und mit hohem Energieverbrauch herstellen sollen?­»

Nichts unversucht lassen

Spannend finde er, dass die skizzierte Reaktion bereits ablaufe, erzählt List. Die Strukturformel von CO2 lautet nämlich O=C=O, die beiden Sauerstoffatome binden sich also quasi von beiden Seiten an das Kohlenstoffatom. Mittels energiereicher UV-Strahlung werde dieses «normale» CO2 beispielsweise in der äusseren Atmosphäre des Mars, aber auch auf der Erde umgewandelt in ein Molekül mit der Strukturformel C=O=O, erzählt List. «C=O=O kann nun zu CO und O gespalten werden. Es gibt es aber auch einen zweiten Reaktionskanal, bei dem C und O2entstehen.»

Dieser unkatalysierte Prozess benötige viel Energie, räumt List ein. «Aber wer weiss, und das ist die Kernfrage meines Projekts: Vielleicht lässt er sich katalysieren.» Der Weg dahin ist weit, der Ausgang des Projekts ungewiss. Doch für den Nobelpreisträger ist klar: Die Menschheit darf nichts unversucht lassen, um den Klimawandel aufzuhalten. «Wir sollten keine Option von vorneherein ausschliessen. Schon gar nicht eine, die – wenn sie denn funktioniert – relativ günstig und sicher sein sollte.»

Selbst wenn die Option nicht funktioniert, ist Benjamin List sich sicher, werden die Forscherinnen und Forscher eine Menge Neues gelernt haben. Und darum gehe es schliesslich primär in der Grundlagenforschung. List ist nun daran, für das Projekt ein Team zusammenzustellen, das im kommenden Jahr seine Arbeit aufnimmt. Das sei ein erster, entscheidender Schritt zum Erfolg. «Denn das Wichtigste in der Wissenschaft sind die kreativen und enthusiastischen Menschen, die sie betreiben – ohne ein hervorragendes Team ist man aufgeschmissen.»

Zahlen und Fakten

Mittel der Werner Siemens-Stiftung

10 Mio. Euro

Projektdauer

2025–2034

Projektleitung

Prof. Dr. Benjamin List, Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr