«Es wäre der Kern der Photosynthese»
Pflanzen spalten seit Jahrmillionen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre. Nobelpreisträger Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr möchte dieses Prinzip der Photosynthese nachahmen. In einem neu von der Werner Siemens-Stiftung unterstützten Projekt arbeitet er an einer eleganten chemischen Reaktion, welche die Welt verändern könnte.
Herr List, in Ihrem ab 2025 von der Werner Siemens-Stiftung unterstützten Projekt wollen Sie eine Art künstliche Photosynthese entwickeln. Worum geht es?
Es geht tatsächlich darum, die Photosynthese der Pflanzen nachzuahmen. Pflanzen verwandeln Kohlenstoffdioxid (CO2) und Wasser in Kohlenhydrate, beispielsweise Zellulose. Daneben bildet sich Sauerstoff. Meine erste Idee war, in einer Art direkter chemischer Photosynthese ein Synthesegas herzustellen, das aus Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) besteht. Daraus lässt sich Benzin herstellen. Allerdings habe ich gemerkt, dass genau das bereits von einem Start-up in der Schweiz gemacht wird.
Von der Firma Synhelion.
Genau. Die stellen aus CO2 und Wasser mithilfe von Katalysatoren und Sonnenlicht direkt Benzin her. Das ist eine tolle Idee – und die Firma kooperiert zum Beispiel mit der Fluggesellschaft Swiss, um einen Teil des Kerosins aus nachhaltigen Quellen zu liefern. Aber das ist noch ein verschwindend kleiner Anteil – und das Tragische ist: Selbst wenn wir weltweit sämtliches Benzin, für alle Autos, Flugzeuge und Schiffe, auf diese Weise produzieren würden, könnte das den Klimawandel nicht aufhalten.
Weshalb nicht?
Die Menschheit produziert jedes Jahr ungefähr 52 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente. An Benzin brauchen wir aber nur ungefähr 1 Milliarde Tonnen. Das heisst: Am Ende müssen wir der Atmosphäre viel, viel grössere Mengen an CO2 entnehmen.
Sie haben deshalb einen anderen Ansatz entwickelt.
Ich muss zugeben, es ist im Moment eher eine Idee. Die Idee, das Wasser auf beiden Seiten der chemischen Photosynthese-Gleichung zu entfernen. Kohlenstoffdioxid (CO2) würde also mithilfe von Lichtenergie in reinen Kohlenstoff (C) und in Sauerstoff (O2) umgewandelt. Es wäre der Kern der Photosynthese.
Was für Vorteile hätte das?
Diese Umwandlung, wenn sie gelänge, würde mit dem Kohlenstoff die Basis liefern, um die chemische Industrie komplett nachhaltig zu machen. Aus Kohle kann man alle organischen Materialien herstellen, die Technologie dafür existiert bereits. Man könnte aus dieser solaren Kohle auch Benzin herstellen – mit dem sogenannten Fischer-Tropsch-Verfahren, das übrigens vor 100 Jahren hier am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung entwickelt wurde. Natürlich liesse sich die solare Kohle auch klimaneutral verbrennen oder für die Stromerzeugung nutzen. Und der letzte Punkt ist der wichtigste.
Welcher?
Um genügend CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen, müssen wir viel mehr solare Kohle produzieren, als wir brauchen können. Selbst wenn wir daraus sämtliche chemischen Produkte und alles Benzin der Welt herstellen würden, bliebe immer noch viel überschüssige Kohle. Diese Kohle aber könnte man problemlos verbuddeln in der Erde – hier im Ruhrgebiet beispielsweise. Wenn ich aus dem Fenster meines Büros schaue, sehe ich riesige Abraumhalden der Kohleindustrie. Darunter gibt es enorme Hohlräume, aus denen man einst Kohle abgebaut hat. Diese Hohlräume und Schächte kosten Geld. Sie können absacken und einstürzen und man muss sicherstellen, dass keine Gefahr von Wasserflüssen oder Grundwasser ausgeht. Insofern wäre es eine perfekte Lösung, diese stillgelegten Stollen wieder mit Kohle zu füllen.
«Kohle könnte man problemlos in der Erde verbuddeln.»
Das Lagern von reiner Kohle wäre viel einfacher als die oft propagierte Abscheidung und Speicherung von CO2 (carbon capture and storage).
Richtig! Kohle kann man problemlos transportieren. Und es ist ein Feststoff – ein Gas wie CO2 in die Erde zu pressen und dort zu speichern, ist viel schwieriger.
Ihr Ansatz klingt vielversprechend, aber Sie haben es selbst gesagt: Noch existiert die Reaktion nicht. Wie gut ist der Reaktionsweg von CO2 zu Kohlenstoff und Sauerstoff untersucht?
So gut wie gar nicht. Man findet in der Literatur kaum etwas dazu. Die Idee scheint mehr oder weniger übersehen worden zu sein. Oder, das denke ich manchmal, wenn ich schlecht schlafe: Die meisten klugen Chemiker wissen, dass die Reaktion nicht funktionieren kann. Aber wenn ich am nächsten Morgen aufwache, tröste ich mich damit, dass es für eine revolutionäre Entdeckung eine verrückte Idee braucht.
Was ist verrückt an der Idee?
Wir alle wissen, dass sich Kohle im Beisein von Sauerstoff prima verbrennen lässt. Die geplante Reaktion geht den umgekehrten Weg, will das sozusagen rückgängig machen. Das klingt erst einmal verrückt. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass die dafür benötigte Energiemenge zwar schockierend gross ist, nämlich ungefähr 94 Kilokalorien pro Mol. Aber es ist immer noch eine geringere Menge, als die Photosynthese benötigt. Was Pflanzen machen, ist also energetisch aufwändiger als dieser Prozess.
Gibt es noch etwas, das Sie zuversichtlich stimmt?
Ja, die Tatsache, dass diese Reaktion gerade jetzt, während wir sprechen, abläuft. Zum Beispiel in der Atmosphäre des Mars. Aber auch in der Erdatmosphäre. Es gab nämlich schon Sauerstoff in der Atmosphäre, bevor die ersten Organismen Photosynthese betrieben. Die Frage war: Woher kam dieser Sauerstoff? Herausgefunden hat man es vor einigen Jahren. Man bestätigte experimentell, dass CO2 mit sehr starkem, energiereichem UV-Licht gespalten werden kann in C und O2. Der Kern meines Gedankens ist es, diese Reaktion zu katalysieren, sodass sie weniger Energie benötigt.
Welche Ideen haben Sie, um die Reaktion zu katalysieren?
Ein grundsätzlicher Gedanke ist folgender: Bei der Reaktion bildet sich aus einer Gasphase, dem CO2, ein Feststoff, die Kohle. Lagert sich die Kohle auf der Oberfläche des Katalysators ab, wird er irgendwann automatisch deaktiviert. Solche Abscheidungsreaktionen gibt es auch bei der Herstellung von Wasserstoff aus Methan. Dort leitet man Methangas durch flüssiges, heisses Zinn. Der Wasserstoff blubbert oben heraus und die Kohle lagert sich auf dem Zinn ab. Man benutzt eine Art Scheibenwischer, der die Kohle von Zeit zu Zeit entfernt.
Und dieses Prinzip könnte man auch bei Ihrer Reaktion nutzen?
So ist es. Das ist der Ansatz, den wir bei Ideen der sogenannten heterogenen Katalyse verfolgen. Aber die Details sind komplex und natürlich noch geheim.
Gibt es andere Möglichkeiten?
Ein spannender Ansatz, den wir verfolgen, ist die Biokatalyse. Manche Mikroorganismen sind in der Lage, CO2 aus der Luft in Kohle zu verwandeln. Man könnte versuchen, solche Bakterien oder Algen in Meerwasser arbeiten zu lassen. Meerwasser ist relativ reich an CO2. Der entstehende Kohlenstoff würde auf dem Wasser schwimmen und liesse sich einfach abschöpfen. Ich bin daran, für diesen Teil des Projekts Biologen einzustellen.
Was kann alles schiefgehen bei dem Projekt?
Einiges, fürchte ich. Das habe ich im Antrag formuliert und der Stiftung auch so gesagt. Ich kann nicht garantieren, dass das funktioniert. Aber es hat mir auch noch niemand einen fundamentalen Grund geliefert, weshalb die Reaktion unmöglich sein sollte. Ich bin ein Optimist und werde alles daransetzen, dass es gelingt. Ich glaube, je höhere Ziele man sich setzt, desto besser. Es kann sein, dass man das Ziel nicht ganz erreicht – aber man lernt immer etwas Wichtiges oder entdeckt eine andere tolle Reaktion.
Was braucht es, damit solch ein Vorhaben gelingt?
Eine gute Idee. Aber mindestens genauso wichtig sind die Personen, welche die Idee umsetzen. Dank der Werner Siemens-Stiftung sind wir in der Lage, eine schlagkräftige Truppe zusammenzustellen – eine Gruppe von fünf bis zehn Leuten, die in den nächsten zehn Jahren an diesem Thema arbeiten wird. Meine Aufgabe ist es, kluge, kreative und mutige Köpfe zu finden und einzustellen. Denn es gibt eine grundsätzliche Problematik, wenn man etwas zu machen versucht, das noch nie jemand gemacht hat.
Welche?
Wir Menschen tendieren zum Gruppenleben. Wir wollen gerne am selben Lagerfeuer sitzen, dieselben Lieder singen und dasselbe Getränk trinken. Das ist unser Wesen. In meiner Gruppe forschen die meisten Mitarbeitenden an der asymmetrischen Organokatalyse; sie feiern Erfolge und publizieren tolle Paper. Wenn nun jemand kommt und an etwas arbeitet, das sonst keiner macht, kann er sich sehr schnell sehr einsam fühlen. Es braucht eine bestimmte Mentalität, um das auf sich zu nehmen.
«Ich dachte nicht, dass ich deswegen den Nobelpreis bekommen könnte.»
Auch die asymmetrische Organokatalyse war einmal etwas völlig Neues. Sie haben für deren Entwicklung im Jahr 2021 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Wussten Sie schon beim ersten Mal, als sie sahen, dass sich auch kleine, organische Moleküle wie Aminosäuren als Katalysatoren einsetzen lassen, dass Sie etwas Grossem auf der Spur sind?
Ich weiss noch genau, wie ich dieses Experiment gemacht habe. Das war vor ungefähr 25 Jahren und ich hatte gerade eine Assistenzprofessur angetreten am Scripps Research Institute in Südkalifornien. Es hat ziemlich schnell funktioniert. Als ich es sah, dachte ich: Nice! Ich dachte nicht, dass ich deswegen irgendwann den Nobelpreis bekommen könnte. Aber ich dachte, ich könnte dafür eine Festanstellung bekommen. Meine Frau und ich hatten gerade geheiratet und sie wurde kurze Zeit später schwanger – es war also eine ganz gute Aussicht, einen festen Job zu bekommen.
Es wurde mehr als eine Festanstellung. Wie hat der Nobelpreis Ihre Forschungsarbeit verändert?
2021 war ein tolles, glückliches Jahr für mich. Wir hatten gerade eine neue Art von Katalysatoren entdeckt, die besonders reaktiv und selektiv waren. Sie bedeuteten den Durchbruch in der Organokatalyse und führten dazu, dass diese Technologie heute quasi überall eingesetzt wird in der Medikamentenherstellung und sogar in der Grosschemie. Als dann noch der Nobelpreis kam, war das natürlich eine riesige Überraschung und wunderschön. Ich habe mich schon kurz gefragt: Was mache ich eigentlich jetzt noch? Aber ich merkte, dass ich einfach gerne Forschung betreibe mit den tollen Menschen, mit denen ich hier zusammenarbeite. Und so bin ich eigentlich da, wo ich schon vorher war.
Gibt eine Anerkennung wie der Nobelpreis einem auch die Narrenfreiheit, um etwas Verrücktes wie die Spaltung von CO2 auszuprobieren? Oder hemmt es einen, weil man seinen Ruf als erfolgreicher Chemiker aufs Spiel setzt?
Es ist eine gewisse Unsicherheit da, ein Kribbeln – ein bisschen wie damals bei der Entdeckung der Organokatalyse. Auch damals hatte ich diese Gedanken: Wieso macht es keiner ausser mir? Ist es eine Schnapsidee und das wissen die Chemiker? Aus Angst, meinen Ruf zu verlieren, hätte ich damals nie öffentlich darüber gesprochen. Heute ist es anders. Die ganze Sache ist ja entstanden, weil ich seit ein paar Jahren in Vorträgen immer sage, an einer solchen künstlichen Photosynthese-Reaktion sollte die nächste Forscher-Generation arbeiten. Dank der Werner Siemens-Stiftung mache ich es nun selbst. Es kann sein, dass ich scheitere. Aber heute, mit einem Nobelpreis, bin ich entspannt. Ich denke einfach: Man muss es versuchen.