«Frauen müssen sich immer noch beweisen»

Lea Caminada, Teilchenphysikerin und Mentorin

Die Meldung schlug ein: Im Sommer 2012 gab das CERN in Genf bekannt, dass seine Forschenden das Higgs-Teilchen nachweisen konnten. In der theoretischen Physik war die Existenz dieses Elementarteilchens schon lange vorhergesagt worden. Endlich gelang es, sie zu beweisen – mit Hilfe des grössten Teilchenbeschleunigers der Welt. Die Forschenden liessen dazu in einem 27 Kilometer langen Tunnel Protonen miteinander kollidieren – dabei entstanden die Higgs-Teilchen. 

Die Entdeckung des Higgs-Teilchens war auch für Lea Caminada ein Freudentag. Die Teilchenphysikerin arbeitet am Paul Scherrer Institut im aargauischen Villigen in der Schweiz. Sie war am Bau des sogenannten Pixeldetektors beteiligt, mit dem sich die Kollisionen der Protonen rekonstruieren und die Higgs-Teilchen nachweisen liessen. Lea Caminada koordinierte die Tests und die Inbetriebnahme des Detektors – zuerst am Paul Scherrer Institut, dann am CERN. «Es ist faszinierend, mithelfen zu dürfen, einige der grundlegendsten Fragen zu beantworten: Woraus besteht Materie? Wie entstand unser Universum?», sagt Lea Caminada. Für ihre Arbeit pendelt sie zwischen Villigen und Genf. Derzeit ist sie damit beschäftigt, die Daten des Detektors auszuwerten, den Detektor zu warten – und eine nächste, noch bessere Version zu entwickeln. 

Ihr Talent und der Spass an den Naturwissenschaften haben Lea Caminada zum Studium der Physik an der ETH Zürich und in die Teilchenphysik geführt. Der geringe Frauenanteil von zwanzig Prozent während des Studiums störte sie nicht weiter, sie fühlte sich wohl und akzeptiert. Als Postdoktorandin in den USA erlebte sie anschliessend ein eher ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Physik. Als sie in die Schweiz zurückkehrte, war das wieder anders. Sie realisierte: Je höher Frauen die akademische Leiter hinaufsteigen, desto schwieriger wird es für sie. Bisweilen sind es subtile, unbewusste Vorurteile, die Lea Caminada in Arbeitsgruppen erlebt: «Als Frau werde ich manchmal weniger ernst genommen. Männern traut man in technischen Berufen mehr zu als Frauen. Wir müssen zwar nicht unbedingt besser sein als Männer, aber wir müssen unser Können aktiver zeigen, uns beweisen.» Umso wichtiger sei es, schon bei Kindern anzusetzen und Mädchen wie Jungen mit technischen Berufen bekanntzumachen: «Den Mädchen fehlt es nicht nur an weiblichen Vorbildern, sie kennen diese Berufe auch zu wenig.» 

Um das zu ändern, hat sich Lea Caminada als Mentorin bei «Swiss TecLadies» zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig ist die erfolgreiche Physikerin aber auch eine Mentee: Sie nimmt am Paul Scherrer Institut an einem Mentoring-Programm für Forscherinnen teil, die eine Führungsaufgabe übernehmen möchten. Dort ist ihre Mentorin – ein Mann. Denn an weiblichen Führungskräften mangelt es noch. «Dank Programmen wie ‹Swiss TecLadies› hoffentlich nicht mehr lange», sagt Lea Caminada.

Text: Adrian Ritter
Foto: Felix Wey