Foto einer Bartwurmkolonie in 3100 Metern Wassertiefe im Atlantik vor Westafrika.
Erst ein winziger Bruchteil der Tiefsee ist erforscht – Krabben, Garnelen und Muscheln in einer Bartwurmkolonie in 3100 Metern Wassertiefe im Atlantik vor Westafrika.

Begehrte marine Rohstoffe

Unberührt vom Menschen hat sich die Tiefsee über Jahrmillionen zu einem aussergewöhnlichen und bedeutenden Ökosystem entwickelt. Doch in den kommenden Jahren wollen zahlreiche Länder und Konzerne die Schätze heben, die in der Tiefsee schlummern. Das von der Werner Siemens-Stiftung finanzierte Innovationszentrum für Tiefsee-Umweltüberwachung am MARUM an der Universität Bremen will dazu beitragen, dass der Abbau am Meeresboden nicht die gleichen verheerenden Schäden anrichtet wie der Bergbau an Land.

Als Tiefsee bezeichnet man Meerestiefen ab 200 Metern (die durchschnittliche Tiefe aller Meere beträgt 3700 Meter). Für die Tiefsee trifft nicht zu, dass es auf der Erde nichts mehr zu entdecken gäbe. Im Gegenteil. Über 90 Prozent des Meeresbodens ist unbekannt. Doch die wenigen Gebiete, die man in der Tiefsee ausgekundschaftet hat, wecken Begehrlichkeiten. Weil dort Kupfer, Zink, Kobalt, Seltene Erden, Gold und Silber in grossen Mengen entdeckt wurden. Die Nachfrage nach diesen Metallen ist gross, da man sie für Smartphones, Akkus, LEDs, Plasmabildschirme, Elektromotoren, Solarpaneelen, Windturbinen, Halbleitertechnik und andere Annehmlichkeiten unserer Zeit braucht. Aktuell interessieren sich 29 Nationen und Privatunternehmen für die wertvollen Rohstoffe. Den ersten Schritt haben sie bereits geschafft: Sie halten Erkundungslizenzen. Am weitesten ist die Firma Nautilus Minerals Inc., deren Mehrheitsaktionäre ein omanischer und ein russischer Milliardär sind. Nautilus Minerals plant, 2019 mit dem Tiefseebergbau zu beginnen. Aber auch China, Japan, Indien, Russland, Brasilien sowie EU-Länder wie Frankreich, Deutschland, Belgien, Grossbritannien und Polen haben Erkundungslizenzen für vielversprechende Meeresregionen zugesprochen bekommen. 

Neue Gene aus dem Meer

Auch medizinische und pharmazeutische Unternehmen interessieren sich für die Tiefsee, sie hoffen auf nützliche neue Organismen und Gene. «Die Gen-Pools in der Tiefsee könnten sich sogar als interessanter und lukrativer herausstellen, als Erze aus dem Meeresboden zu gewinnen», sagt Professor Michael Schulz, der dem «MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften» der Universität Bremen vorsteht. Ein gutes Dutzend Medikamente, deren Wirksubstanzen aus der Meeresbiologie stammen, sind heute bereits zugelassen. In Zukunft rechnet man mit Tausenden. Die neuen, schnellen genetischen Screening-Verfahren haben die Suche nach nützlichen Substanzen aus dem Meer angeheizt.
«Es gibt Fahrzeuge, die durchs Wasser gleiten und dabei DNA-Analysen machen», erzählt Michael Schulz. «Das sind völlig neue Entwicklungen, die derzeit stattfinden.» Ein Beispiel ist das US-amerikanische J. Craig Venter Institute, es unternimmt sogenannte Global-Ocean-Sampling-Expeditionen und durchforstet dabei das Erbgut tausender Meeresorganismen nach interessanten Genabschnitten. 

Erst erkunden, dann ausbeuten

Von der Erkundungslizenz zur Abbaulizenz ist der Weg zwar – zu Recht – weit, anspruchsvoll und teuer. Trotzdem dauert das weltweite Seilziehen um die marinen Ressourcen an. Vielleicht braucht es noch ein, vielleicht zehn Jahre, bis der erste Konzern mit dem Abbau beginnt. Doch sobald die Unternehmen die begehrten Ressourcen aus der Tiefe holen dürfen, werden sie Schäden in unbekanntem Ausmass anrichten im weitgehend unbekannten Ökosystem Tiefsee. MARUM-Direktor Michael Schulz zum unüberlegten Heben der Tiefseeschätze: «Es wäre unklug, wertvolle Tiefseeökosysteme durch den Abbau zu zerstören und erst danach ihren wahren Wert für die Erde zu erkennen.»

Text: Brigitt Blöchlinger
Fotos: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen