Foto von Pierre Stallforth während der Arbeit im Labor.
Die Laborbakterien und die daraus gewonnenen Naturstoffe werden bei minus 80 Grad Celsius gelagert.

Der Mikroben-Versteher

Der Chemiker und Biotechnologe Pierre Stallforth erforscht das Zusammenspiel von Mikroben und ihrer Umwelt. Der Wunsch, neue Erkenntnisse zum Wohle der Menschen nutzbar zu machen, liegt für ihn auf der Hand – und in der Familie.

Es mag ein Klischee sein, aber bei Pierre Stallforth stimmt es: Er besass schon als Kind einen Chemiebaukasten und wusste, dass er eines Tages Chemie studieren würde. Auf diese Idee kam der heute 37-Jährige nicht zuletzt in der Arztpraxis seines Vaters in Augsburg. Schon als Kind hantierte er dort im Labor mit Reagenzgläsern. Im Gegensatz zu anderen jugendlichen Chemiebaukasten-Fans setzte Pierre Stallforth den Plan in die Tat um und studierte an der Universität Oxford Chemie. Als Doktorand an der ETH Zürich widmete er sich anschliessend der Aufgabe, einen Impfstoff zu entwickeln, der keine Proteine enthält – und entsprechend hitzestabil ist. Dies hätte enorme Vorteile für den Einsatz in warmen Ländern, in denen die Kühlkette für Medikamente fehlt. Sein Vorhaben gelang, und der Ansatz für einen neuartigen Impfstoff wird mittlerweile von einem Biotechnologieunternehmen weiterverfolgt.

Kommunizierende Mikroben

Die Verbindung von Grundlagenforschung und ihrer Anwendung in der Praxis fasziniert Pierre Stallforth. Nach dem Postdoktorat an der Harvard Medical School bei Boston kehrte er 2013 nach Deutschland zurück. Seither leitet er am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena eine Forschungsgruppe. Sein Spezialgebiet ist das Zusammenspiel von Mikroorganismen: Wie kommunizieren und kooperieren sie – und wie bekämpfen sie sich? Bei der Abwehr von Feinden und Konkurrenten spielen antibiotisch wirkende Naturstoffe eine wichtige Rolle, wie seine Forschungsgruppe zeigen konnte. Pierre Stallforth geht gerne neue Wege. Wo andere Forschungsgruppen einzelne Wirkstoffe betrachten, untersucht er das Zusammenspiel mehrerer Stoffe und ihrer Umwelt. Dabei entdeckte er kürzlich eine neue Wirkstoffkombination gegen gewisse multiresistente Keime; sie basiert auf zwei von demselben Bakterium produzierten antibiotischen Naturstoffen, die sich in ihrer Wirkung potenzieren. Am Leibniz-Institut wird die neue Strategie jetzt weiter getestet.

Neuer Forschungsbereich

Unkonventionelle Wege wird er auch im Projekt «Paläobiotechnologie» einschlagen, das ab 2020 von der Werner Siemens-Stiftung unterstützt wird. Zeitpunkt und Ort dafür sind perfekt: Die technologischen Möglichkeiten sind soweit gediehen, und die Expertise für das gemeinsam mit der Archäologin Christina Warinner lancierte Projekt ist in Jena vorhanden. «Es war ein Glücksfall, dass ich Christina Warinner im Rahmen eines Exzellenz-Clusters zu Mikroorganismen vor zwei Jahren kennengelernt habe», so Stallforth. Ihre unterschiedlichen Blickwinkel auf dieselben Fragen ergänzen sich perfekt: Wie können wir die Funktion der Gene von Bakterien besser verstehen? Wie lässt sich die Vielfalt der von prähistorischen Bakterien produzierten Naturstoffe für neue Antibiotika nutzen? Stallforth und Warinner starteten damals ein erstes gemeinsames Projekt und untersuchten das Erbgut eines mittelalterlichen Skeletts. Dass die Zusammenarbeit jetzt durch die Unterstützung der Werner Siemens-Stiftung für zehn Jahre fortgesetzt werden kann, ist für Pierre Stallforth einzigartig: «Es wird uns erlauben, in Jena den weltweit neuartigen Forschungsbereich der Paläobiotechnologie aufzubauen.»

Text: Adrian Ritter
Foto: Felix Wey