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Datenschätze im Schuh
Am Universitätsklinikum des Saarlandes entwickeln Forschende intelligente Implantate, die einen gebrochenen Knochen nicht nur stabilisieren, sondern während der Heilungsphase auch Fehlbelastungen erkennen – und gegensteuern. Nun haben sie drei Studien publiziert, die wichtig sind, um den Heilungsverlauf richtig einzuschätzen.
Der Gang eines Menschen verrät einiges über seine Gesundheit. Wer schneller zu gehen pflegt, wird beispielsweise generell älter – und ist geistig fitter, wie Studien zeigen. Gehanalysen können aber auch hilfreich sein, um den Heilungsprozess mit einer Beinverletzung zu verfolgen. Das zeigen Untersuchungen des Forschungsteams von Tim Pohlemann und Bergita Ganse vom Projekt «Smarte Implantate» am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg, das von der Werner Siemens-Stiftung unterstützt wird.
Ziel dieses Projektes ist eine eigentliche Revolution der Behandlung von Unterschenkel-Knochenbrüchen. Die Forschenden wollen intelligente Implantate entwickeln, welche die Heilung solcher Brüche beschleunigen und verbessern. Das Implantat stabilisiert den gebrochenen Knochen nicht nur. Es liefert auch Informationen darüber, wie gut oder schlecht der Bruch verheilt – und es warnt vor Fehlbelastungen. Falls die Heilung nicht optimal verläuft, reagiert es darauf.
Ein solches Implantat muss also in der Lage sein, eine Vorhersage zu treffen, ob bestimmte Belastungen im Bein und an der Bruchstelle sich positiv oder negativ auf den Heilungsverlauf auswirken. Und hier kommen die Ganganalysen ins Spiel. Wie schnell geht eine Patientin oder ein Patient? Welches sind ihre Schrittlängen? Wie stark tritt er auf, mit wie viel Kraft stösst er sich wieder ab? Wie gross sind die Unterschiede zwischen dem verletzten und dem gesunden Bein? All dies könnte Hinweise auf den Heilungsverlauf geben.
Erst wenige Ganganalyse-Studien
«Wir wollen jene Parameter finden, die auf eine Heilung hindeuten, um sie dann in unserem Implantat zu verwenden», erzählt Bergita Ganse, Werner-Siemens-Stiftungsprofessorin für innovative Implantatentwicklung an der Universität des Saarlandes. Um einen Überblick über den heutigen Wissensstand zu gewinnen, trugen die Forschenden in einem ersten Schritt bisher erschienene Studien zusammen und werteten sie aus. Es habe sie überrascht, wie wenige Ganganalyse-Studien mit Messungen im Verlauf der Heilung bei Unterschenkelbrüchen es bislang gebe, sagt Ganse.
Diese wenigen bestehenden Studien zeigen, wenig überraschend, dass die Messfaktoren sich während des Heilungsverlaufs verbessern, das Gehtempo also zum Beispiel zunimmt. Besonders wichtig für die Forschenden war der Befund, dass es im Gang von Patienten Anzeichen dafür gibt, dass die gebrochenen Knochen verzögert oder gar nicht zusammenwachsen. Dieses Problem tritt bei ungefähr 5 bis 14 Prozent aller Unterschenkelknochenbrüche auf. Entdeckt wird es oft spät, weil die Bruchstelle nur alle paar Wochen geröntgt wird.
Mit Ganganalysen, so das Resultat der kürzlich publizierten Übersichtsstudie, sollten sich Heilungsverzögerungen früher entdecken lassen. Vielversprechend seien vor allem das Gehtempo und Asymmetrien zwischen linkem und rechtem Bein, sagt Bergita Ganse.
Grösse, Gewicht und Terrain
Die Forschenden führen auch selbst Ganganalysen durch. Sie haben dafür eigens ein Ganglabor aufgebaut. Darin werden Probandinnen und Probanden mit dünnen Messsohlen ausgerüstet, die mit 16 Drucksensoren die Belastung kontinuierlich messen. In einer ebenfalls kürzlich veröffentlichten Studie verglich das Team auf diese Weise das Gehverhalten von 37 gesunden Menschen und analysierte, welchen Einfluss Alter, Gewicht, Grösse, Body-Mass-Index und die Griffkraft – als Merkmal für allgemeine Muskelkraft – darauf haben.
Es zeigte sich, dass diese Faktoren knapp die Hälfte der Unterschiede in der sogenannten Kraftkurve ausmachten, also die Kraftübertragung beim Auftreten, Abrollen und Abstossen. «Wir müssen den Einfluss dieser Faktoren berücksichtigen, wenn unser Implantat die Analysen vornimmt», sagt Tim Pohlemann, Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum des Saarlandes. Gleichzeitig hat das Team Publikationen in der Pipeline, die weitere Einflussfaktoren der Kraftkurve untersuchen: zum Beispiel die Rolle des Untergrunds (Asphalt, Sand, Wiese Schotter) oder ob jemand bergauf oder bergab geht.
In einer dritten kürzlich publizierten Studie wandten die Forschenden die Erkenntnisse modellhaft an einem Patienten an. Sie führten Experimente mit Sensoren in den Sohlen und andere Untersuchungen bei ihm durch – und prognostizierten den Heilungsverlauf, der bei verschiedenen Behandlungsvarianten zu erwarten war. Die Simulation habe gut mit der tatsächlich angewandten Therapie übereingestimmt, erzählt Bergita Ganse.
Heilungsfördernde Bruchstellen-Massage
«Für uns ist es wichtig, mehr Fälle untersuchen zu können», sagt Tim Pohlemann. «So können wir berechnen, unter welchen Bewegungsbedingungen die Heilung gut vorangeht und unter welchen nicht.» Die Aufgabe des Implantats wird es dann sein, bei einem negativen Verlauf einzugreifen. Auf welche Weise, wird sich im Verlauf des Projekts zeigen: Eine Möglichkeit ist es, dass die Patientin beispielsweise einen Warnhinweis bekommt, wenn sie die Bruchstelle beim Treppensteigen überlastet.
Eine andere Idee ist es, dass das Implantat, das elastische Fähigkeiten besitzt, selbst gegensteuert, indem es sich versteift. Oder indem es zur richtigen Zeit die Bruchstelle mit winzigen Bewegungen stimuliert. «Man weiss, dass manche Bewegungsmuster die Heilung fördern», erzählt Tim Pohlemann. Und Bergita Ganse ergänzt: Bei zwei Studien hätten Forschende am Bein von Patienten eine Vorrichtung angebracht und Schrauben zum Knochen eingeführt. «Damit massierten sie die Bruchstelle und zeigten, dass dies die Heilungszeit um bis zu einem Viertel beschleunigte.»
Gelingt es, eine solche Massage von einem Implantat ausführen zu lassen, das sowieso mit dem gebrochenen Knochen verschraubt werden muss, wird das die Behandlung von Knochenbrüchen enorm verbessern. Es wird unnötige Nachbehandlungen und Schmerzen verhindern und Gesundheitskosten senken.