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Der Chirurgieroboter nimmt Gestalt an
Seit fünf Jahren forscht das MIRACLE-Team in Basel an der Zukunft der Knochenchirurgie. Nun haben die von der Werner Siemens-Stiftung unterstützten Forscherinnen und Forscher das einzigartige System erstmals zusammengefügt und den Medien vorgestellt.
Die Knochenchirurgie ist manchmal eine ziemlich brachiale, blutige Angelegenheit. Heutige Knochensägen und Bohrer sind nicht sehr präzise und arbeiten mit enormen Kräften – mit entsprechenden unliebsamen Nebenwirkungen auf das Gewebe der Behandelten. Das MIRACLE-Projekt an der Universität Basel hat sich zum Ziel gesetzt, die Knochenchirurgie mit einem revolutionären System sicherer, schneller und präziser zu machen. Das ist ein langer, ehrgeiziger Prozess. «Wir sind die Marsmission unter den Medizinrobotik-Projekten», sagt Philippe Cattin, einer der vier Projektleiter von MIRACLE.
Nach fünf Jahren Forschung hat die Mission nun einen Meilenstein erreicht. Anfang September präsentierte die Forschungsgruppe den Medien erstmals ein System, in dem die einzelnen, neu entwickelten Technologien miteinander verknüpft wurden zu einem modular aufgebauten Roboter. Damit sollen dereinst minimalinvasive Eingriffe am Knochen möglich werden.
Um das zu erreichen, brauche es vier Weltneuheiten, sagt Cattin. Die eine hat er mit seinem Team selbst entwickelt: ein Virtual- und Augmented-Reality-System, mit dem Operationen besser geplant und überwacht werden können. Es stellt Chirurginnen und Chirurgen zum Beispiel dreidimensionale Animationen des Körperteils zur Verfügung, der operiert werden muss. In einem virtuellen Raum können sie in den Körper hineinsehen und sich den Bruch oder den Tumor von allen Seiten anschauen. Das System wird bei einigen Eingriffen am Universitätsspital Basel bereits standardmässig eingesetzt.
Winziges Endoskop
Die zweite Weltneuheit kommt von Georg Rauter, Mechatroniker, Ingenieur und Leiter der MIRACLE-Forschungsgruppe Robotik. Er entwickelt mit seinem Team einen Roboter, der ein winziges Endoskop in den Körper bringen, an den Zielort steuern und dort mehrere Instrumente antreiben soll. Der Roboter funktioniert nach dem Prinzip einer menschlichen Hand. Der «Arm» mit der «Hand» soll dereinst im Operationssaal an der Decke hängen. Von dort aus navigiert er den fingerförmigen Fortsatz, der das Endoskop enthält, an jede Operationsstelle.
Eine Schwierigkeit, die Rauter und sein Team lösen müssen, ist die Navigation: Wenn der Chirurg die Steuerung übernimmt, muss er dies mit intuitiven Bewegungen tun können. Um das zu ermöglichen, entwickeln die Forscherinnen und Forscher ein cleveres System. Übt eine Hand Druck auf ihm aus, kann es «vorhersagen», wohin sie sich bewegen wird. Eine andere Herausforderung ist die Miniaturisierung: Der vorderste Teil des Roboters, der bis zum Knochen vordringt, darf kaum breiter sein als einen halben Zentimeter. Das wird möglich, wenn sich das Antriebssystem ausserhalb des Körpers des Patienten befindet. Die Antriebsmotoren sind über eine Art Sehnen mit den Instrumenten in der Roboterspitze, quasi den Fingern, verbunden. «Ansonsten», sagt Rauter, «wäre ein minimalinvasiver Eingriff mit dem System unmöglich.»
Sauberer Laserschnitt
Kernstück des künftigen Chirurgieroboters ist ein Laser. Anders als eine herkömmliche Knochensäge kann er derart verkleinert werden, dass er bei einem minimalinvasiven Eingriff eingesetzt werden kann. Zudem schneidet er viel genauer und sauberer. Der Knochen bleibe an den Schnittstellen vollkommen intakt, «als ob er gar nicht mitbekommen hätte, was passiert ist», sagt Ferda Canbaz, die Leiterin des Laser-Labors von MIRACLE. Solche Schnitte können viel rascher verheilen als die heute übliche Schnitte, bei denen die Bruchkanten zum Teil arg in Mitleidenschaft gezogen werden.
Damit der Laser nicht in das falsche Gewebe schneidet, muss der Chirurg natürlich jederzeit genau wissen, wo er sich befindet. Um solch smarte Laser zu entwickeln – die dritte Weltneuheit im Projekt – haben Canbaz und ihr Team zwei Methoden auf Lager. Die eine nutzt die Methode der Spektroskopie, mit der anhand von Plasmalicht bestimmt wird, welche Art von Gewebe gerade geschnitten wird. Bei der anderen handelt es sich um ein optisches System, das auch die Tiefe und die Form des Schnitts sowie die Temperatur vor Ort misst.
Massgeschneiderte Implantate
Ein weiterer enormer Vorteil des Lasers gegenüber einer Knochensäge besteht darin, dass man mit ihm jegliche Formen schneiden kann – beispielsweise solche, in die man ein Implantat stecken kann wie ein Puzzleteilchen in ein anderes. Das wiederum nutzt Florian Thieringer, Gesichtschirurg am Universitätsspital Basel, für die Entwicklung der vierten Revolution – jene des 3D-Drucks. Im spitaleigenen 3D-Druck-Labor produziert er künftig Implantate, die genau in den vorgeschnittenen Knochen eingesetzt werden können. Dort halten sie, ohne dass man sie wie bisher mit Schrauben oder Platten befestigen muss.
Damit die Implantate dereinst durch den minimalinvasiven Zugang in den Körper passen, setzt Thieringer auf eine Art Origami-Technik. Die Idee: Ein Implantat besteht künftig aus vielen kleinen Teilchen. Jedes Teilchen wird einzeln in den Patienten eingeführt und vor Ort zu einem Ganzen zusammengesetzt.
Noch wird es einige Jahre dauern, bis die MIRACLE-Mission in den Mars-Orbit einbiegt. Aber wenn es so weit ist, werden Patientinnen und Patienten nach einer Knochenoperation keine grossen Narben mehr haben, ihre Knochen rasch wieder belasten können und kaum bemerken, dass sie ein Implantat in sich tragen. Dank vier Weltneuheiten aus Basel.