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Hammerbohrungen
Nach gut einem Jahr ist das Bedretto-Untergrundlabor betriebsbereit. Was sich so einfach anhört, war ein gewaltiger Kraftakt von Mensch und Maschine. Seit Herbst 2020 steht die Infrastruktur bereit – die Experimente zur Tiefengeothermie können beginnen.
«Es gab schon Überraschungen», sagt Bedretto-Untergrundlabor-Manager Dr. Marian Hertrich nach dem ersten Jahr. Die grösste Überraschung zeigte sich gleich zu Beginn. «Wir hatten 150 m in den Granit gebohrt, und es war kein Tropfen Wasser herausgekommen. Alles kompakter Granit.» In kompaktem Granit funktioniert die Tiefengeothermie nicht. Denn um die Wärme im Erdinnern zu nutzen, werden Störzonen mit feinen Spalten und Rissen, sogenannten Klüften, benötigt, in die man Wasser pumpen kann. Ein Jahr später sind die wichtigsten Bohrlöcher im Bedretto-Untergrundlabor fertiggestellt. Die Bauarbeiter stiessen an anderen Stellen im Untergrundlabor dann doch noch auf zerklüftete Zonen. Mittlerweile schätzt Hertrich die geologische Situation im Bedretto-Untergrundlabor sogar als «perfektes Spielfeld» für die Experimente zur Tiefengeothermie ein. Die Bohrlöcher durchstossen nämlich unterschiedliche geologische Zustände von Granit: kompakt, zerklüftet oder zerrieben. Dank dieser Ausgangslage können die Forschenden Experimente in allen Granitvorkommen, die es in der Schweiz gibt, durchführen.
Bohrlöcher für die Experimente
Für die Experimente wurden zwei grosse Bohrlöcher vorgesehen. Beide sind 20 cm breit und reichen 350 m sowie 400 m in die Tiefe. «400 m sind tiefer als geplant», freut sich Domenico Giardini, Projektleiter und Professor für Seismologie und Geodynamik an der ETH Zürich. Um die grossen Bohrlöcher herum wurden vier Kontrollbohrlöcher gebohrt, in denen Hunderte von Sensoren installiert wurden. Die Sensoren messen während der Experimente in den grossen Bohrlöchern sämtliche Auswirkungen wie seismische Bewegungen im Gestein, Schallwellen, Druck, Temperatur, Wasserfluss und vieles mehr. Zwei weitere Kontrollbohrlöcher sollen noch dazukommen. Für die Herstellung der Kontrollbohrlöcher wurde ein neueres Hammerbohrverfahren namens Wassara eingesetzt. Die Erprobung von Wassara war Teil des internationalen Technologieprojekts ZoDrEx (Zonal Isolation, Drilling and Exploitation), bei dem es darum geht, die besten Bohrsysteme für die Tiefengeothermie zu testen. Wassara arbeitet mit einem wasserbetriebenen Hammer, dessen Schläge das Gestein gezielt zertrümmern, und nicht wie bisher üblich mit einem rotierenden Bohrkopf. Die gebohrten und mit Sensoren versehenen Kontrolllöcher im Bedretto-
Untergrundlabor wurden anschliessend mit Zement aufgefüllt. Damit schuf man ein kompaktes Felsvolumen von 400 m Tiefe, das in etwa die gleiche Härte, Wasserdurchlässigkeit, Steifigkeit und Porosität aufweist wie der Granit rundherum. «So ‹merkt› der Felsen nicht, dass er durchlöchert und voll von Sensoren ist, und verhält sich bei den Experimenten so, als wäre er unversehrt», erklärt Projektleiter Domenico Giardini.
Das Labor ist bereit
«Offiziell starten die ersten ‹richtigen› Experimente zur Tiefengeothermie Anfang Oktober 2020», erzählt Domenico Giardini im August. «Rund dreissig Expertinnen und Experten aus dem In- und Ausland werden zugegen sein, im Tunnel oder vor den vielen Monitoring-Bildschirmen. Nach dem Check aller Instrumente und des Netzwerkes werden wir den Granit stimulieren, also Wasser mit Druck ins Gestein pressen, und messen, wie die Risse und Spalten entstehen.»
In mittlerer Tiefe
Die ersten Experimente sollen unter anderem herausfinden, ob das Gestein auf eine Stimulation in 1400 m Tiefe gleich reagiert wie auf eine Stimulation in geringerer Tiefe. Denn mittlerweile setzt man in der Schweiz nicht mehr unbedingt auf Tiefengeothermie-Kraftwerke, die Hitze aus 5000 m Tiefe in Strom umwandeln. Praktikabler scheinen Wärmereservoirs in einer mittleren Tiefe von 1500 m zu sein. In diese kann im energiereichen Sommer Wasser gepumpt werden, das sich im Untergrund erwärmt und dann im energiearmen Winter genutzt wird, wenn der Wärmebedarf hoch ist. «In den Kantonen Bern und Genf sind bereits solche Energiespeicher für die Städte geplant», berichtet Projektleiter Domenico Giardini. «Die Wärmespeicherung in mittlerer Tiefe hat den Vorteil, dass man nicht in die 5000 m tiefen Zonen vordringt, wo Erdbewegungen natürlicherweise vorkommen und alles schwer zu kontrollieren ist.» Hinzu komme, dass in der Schweiz mehr als 50 Prozent der Energie in Form von Wärme gebraucht werde, vor allem zum Heizen, so Giardini. «Wir brauchen deshalb die Wärme nicht zuerst in Strom umzuwandeln, sondern können sie direkt nutzen. Das wird sich in Zukunft durchsetzen.»
Text: Brigitt Blöchlinger
Foto: Felix Wey