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Kontrollierte Unreinheit
Ob in Motoren, Kühlschränken oder Wasserleitungen: Thermoelektrische Materialien können theoretisch jegliche Temperaturunterschiede, die irgendwo auftreten, in Elektrizität umwandeln. In der Praxis sind sie aber noch zu wenig effizient und zu teuer. Die Physikerin Maria Ibáñez will mit ihrer Forschungsgruppe am IST Austria optimierte Thermoelektrika entwickeln, die zur Energiegewinnung im Alltag taugen.
Seit Februar 2021 rattert der Marsroboter «Perseverance» auf unserem Nachbarplaneten herum, um Stein- und Bodenproben zu sammeln und nach Hinweisen auf vergangenes Leben zu suchen. Angetrieben wird das unermüdliche Multitalent inklusive seiner Kameras und Messsysteme von einem thermoelektrischen Generator. Dieser enthält ein spezielles Material, das aus Temperaturunterschieden Elektrizität gewinnt: Energiereiche Elektronen wandern darin von der warmen Seite zur kalten Seite und erzeugen eine elektrische Spannung. Solche thermoelektrischen Energiequellen sind zuverlässig und langlebig, jedoch noch ineffizient und teuer. Darum werden sie nur genutzt, wenn keine anderen Energiequellen zur Verfügung stehen und die hohen Kosten im Vergleich zum Gesamtprojekt nicht ins Gewicht fallen – wie bei Raumfahrtmissionen.
Gesucht: das perfekte Material
Das will Maria Ibáñez ändern. Die Leiterin des «Werner Siemens Foundation Center for Research in Thermoelectric Materials» am Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) will neuartige thermoelektrische Materialien entwickeln, die künftig an den verschiedensten Stellen Temperaturunterschiede in Elektrizität umwandeln können. Gelegenheiten gäbe es viele: «Vorstellbar wäre etwa, die Kälte von Kühlgeräten oder die Abwärme von Motoren oder Computern zu nutzen», sagt Ibáñez.
Die Physikprofessorin und ihre interdisziplinäre Forschungsgruppe synthetisieren derzeit zahlreiche thermoelektrische Materialkandidaten und verändern sie auf molekularer Ebene, um ihnen gewünschte Eigenschaften zu verleihen. «Ein thermoelektrisches Material muss gleichzeitig Strom gut leiten und Wärme schlecht, da sein Funktionieren ja auf Temperaturunterschieden beruht», erklärt Ibáñez. Ausserdem soll es aus einem gegebenen Wärmeunterschied möglichst viel elektrische Energie erzeugen.
Wässrige Lösungen
Damit die neuen thermoelektrischen Materialien möglichst kostengünstig werden, nutzt Ibáñez nicht die bisherigen Herstellungsverfahren, die hohe Drücke oder Temperaturen erfordern. Stattdessen stellt sie mittels wässriger Lösungen Materialien mit genau definierten Nanostrukturen her, und zwar schon bei tiefen Temperaturen von unter 100 Grad Celsius.
Vielversprechende Ergebnisse erzielte ihr Team jüngst mit Zinnselenid (SnSe), dem leistungsstärksten bekannten Thermoelektrikum. Zinnselenid wurde bislang nur in Form von einzelnen Kristallen in einem aufwendigen und teuren Verfahren hergestellt und getestet. Ibáñez dagegen hat es in kurzer Zeit geschafft, zu ihrer flüssigkeitsbasierten Zinnselenid-Synthese mehrere Publikationen einzureichen.
Neues Labor, modernste Geräte
Ihr neues Material, ein Pulver aus Nanokristallen, kommt an die Leistung der Einkristallform nicht ganz heran – viel fehlt aber nicht. Ibáñez ist zufrieden: «Durch diese Entwicklung haben wir viel über die Feinheiten der Synthese und die Ursachen der tieferen Leistung gelernt.» In der Synthese haben sich nämlich Unreinheiten eingeschlichen: Ionen lagerten sich an die Materialpartikel an und beeinflussten die thermoelektrische Leistung, wie Ibáñez’ Analysen gezeigt haben. «Mit diesem Wissen können wir nun versuchen, solche Ionen im Herstellungsprozess zu kontrollieren und zu unserem Vorteil zu nutzen. Möglicherweise können wir mit ihrer Hilfe die Leistung sogar steigern», erklärt die Physikerin.
Diese Erkenntnisse werden den Forschenden künftig auch bei der Erforschung weiterer Materialfamilien helfen. Derzeit entwirft Ibáñez eine Hochdurchsatz-Infrastruktur für ihr neues Labor, in das sie Ende 2021 einzieht. Dann wird das Team mehrere Materialien gleichzeitig in mehrere Richtungen weiterentwickeln und analysieren können – und so sehr wahrscheinlich noch schneller als bisher Fortschritte machen.
Text: Santina Russo
Fotos: Felix Wey