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Tief im Berg
Das Bedretto-Untergrundlabor befindet sich in einem stillgelegten Belüftungsstollen des Furka-Tunnels der Matterhorn Gotthard Bahn. Der 5,2 km lange Stollen ist mit knapp 3 m Durchmesser recht schmal. Dort hinein musste die ganze von der Werner Siemens-Stiftung finanzierte Infrastruktur für die Erforschung der Tiefengeothermie. Der Geophysiker Marian Hertrich von der ETH Zürich, Manager des Bedretto-Untergrundlabors, erzählt im Gespräch, wie er und die in- und ausländischen Teams mitten im Gotthardmassiv Versuche durchführen.
Das Bedretto-Untergrundlabor wurde im Mai 2019 offiziell eingeweiht. Kurz danach starteten die ersten Versuche. Was machten Sie als Erstes?
Marian Hertrich: Wir mussten zuerst den Normalzustand des Tunnels bestimmen. Dazu haben wir die Tunnelwände kartiert, um herauszufinden, wo es welches Gestein gibt und welche Art Risse – oder Klüfte, wie wir Geologen sagen – bereits existieren. Wir massen die bestehende Spannung im Gestein und liessen das grosse Bohrloch und die drei Bohrlöcher für die Kontrollmessgeräte von einer spezialisierten Firma bohren. Diese Vorexperimente lieferten bereits wichtige Informationen zur Elastizität und zum Bruchverhalten des Gesteins – vor den eigentlichen Versuchen.
Das Bedretto-Untergrundlabor ist mit neuesten Geräten ausgestattet. Wie kamen sie in den Tunnel?
Mit einem elektrischen Bauwagen. Mit ihm haben wir acht Lastwagenladungen Material in den Tunnel gefahren: Bohrgestänge, Motoren, Schiebegestänge, Ketten, Packer-Systeme, Computer und vieles mehr. Bei den beschränkten Platzverhältnissen war das eine grosse logistische Herausforderung.
Seit August 2019 sind die Forschenden im Bedretto-Untergrundlabor tätig. Das Labor liegt 2,2 km weit im Felsinnern. Muüsen sie den Weg immer zu Fuss zurücklegen?
Ich selbst gehe gerne zu Fuss. Aber die Forschenden können auch mit dem elektrischen Bauwagen hinein- und hinausrollen, allerdings fährt der auch nur im Schritttempo.
Wie gut eignet sich das Bedretto-Untergrundlabor für die Versuche der Tiefengeothermie?
Es eignet sich gut, weil das Gestein bereits eine ideale Anzahl Klüfte aufweist, die wir durchbohren und nutzen können. Gleichzeitig brauchen wir aber auch ausreichend ungeklüftete Bereiche, die wir für die Stimulation nutzen können, um neue Risse zu erzeugen. Die gibt es ebenfalls im Bedretto-Untergrundlabor. Uns steht hier ein riesiges Felsvolumen zur Verfügung, welches wir gezielt stimulieren können.
Die Stimulation des Gesteins ist von zentraler Bedeutung bei der Tiefengeothermie – was muss man sich darunter vorstellen?
Wir pumpen Wasser unter hohem Druck in die Bohrlöcher und bewirken damit, dass sich im Granit zahlreiche Klüfte bilden. Dies soll möglichst kontrolliert ablaufen. Das heisst: Das Wasser soll das Gestein erst am Ende des Bohrlochs aufbrechen. Das Aufbrechen des Gesteins bewirkt Bewegungen im Untergrund, doch diese sollen natürlich keine spürbaren oder sogar schadenbringenden Erdbeben verursachen.
Kann man diese Bewegungen im Untergrund kontrollieren?
Um die Kluftbildung zu kontrollieren, setzen wir sogenannte Packer-Systeme ein. Das sind aufblasbare Elemente – ähnlich wie Ballone – an einem langen Gestänge, die wir in das Bohrloch einbringen. Dann blasen wir sie um ein paar Millimeter auf, damit sie die Bohrlochwand vollständig verschliessen. Entlang des Gestänges gibt es 10 bis 15 dieser Packer; so unterteilen wir das Bohrloch in 34 einzelne Abschnitte. Wenn wir anschliessend Wasser in das Bohrloch pumpen, steht dadurch nicht das ganze Bohrloch unter Druck, sondern immer nur der Bereich zwischen zwei Packern. So können wir das Bohrloch abschnittweise, kontrolliert und wohldosiert dazu bringen, Kluftsysteme in den heissen Gesteinsbereichen zu bilden. Das Felsvolumen, das wir mit dem Wasser durchströmen können, um die Wärme des Gesteins zu nutzen, nennen wir im Fachjargon Reservoir.
Gibt es in den Reservoirs Wasser?
Das hängt von der Art des Geothermie-Projekts ab. Im Fall von Bedretto besteht das Reservoir aus geklüftetem Granit – es ist ein Wärmereservoir, in dem sich hineingepumptes Wasser erwärmen kann. Um die tiefe Erdwärme zu nutzen, pumpen Tiefengeothermie-Kraftwerke kaltes Wasser in die heissen Reservoirs, wo es sich erhitzt. Dann wird das heisse Wasser an die Oberfläche geholt und in Turbinen geleitet, die Strom erzeugen.
Wie tief ist das Bohrloch?
Bei unseren Versuchen bohren wir 300 m im 45°-Winkel zum Boden in den Granit hinein. Bei einer idealen Geothermie-Bohrung würden wir senkrecht in die Tiefe bohren und unten die Bohrung horizontal ablenken. Diese Möglichkeit haben wir hier leider nicht, weil das Bohrgestänge gut 5 m lang ist und der Tunnel nur gerade knapp 3 m hoch. Deshalb simulieren wir quasi den letzten Teil einer idealen Tiefenbohrung: die horizontale Ablenkung ins Gestein.
In welches Gestein bohren Sie?
In den Rotondo-Granit. Das ist ein sehr homogener Granitkörper, der über mehrere hundert Meter gleich beschaffen ist.
Granit ist ja sehr hart, ist das ein Vorteil oder ein Nachteil für Ihre Forschung?
Bohrungen in Granit sind teurer und aufwändiger als in weicherem Sedimentgestein, doch weist Granit gute Brucheigenschaften auf.
Kann man die Resultate der Versuche im Rotondo-Granit problemlos auf andere geologische Gegebenheiten übertragen?
Nein, doch für die Tiefengeothermie-Projekte in der Schweiz sind unsere Experimente hoch relevant. Denn in der Nordschweiz trifft man in einigen Kilometern Tiefe ebenfalls auf homogenen Granit. Auch andere Länder wie Skandinavien befinden sich auf grossen Granitkörpern und werden deshalb unsere Erkenntnisse nutzen können. Tiefengeothermie-Projekte in München oder Wien hingegen müssen in Kalkstein operieren, wo es ein anderes Verfahren braucht, um das Gestein für die Geothermie zu nutzen.
Wer ist am weitesten?
In Bezug auf das detaillierte Prozessverständnis, das benötigt wird, um die Tiefengeothermie langfristig effizienter und auch sicherer zu machen, ist die Schweiz mit dem Bedretto-Untergrundlabor und dem Grimsel-Felslabor ganz vorne mit dabei.
Gibt es eine neutrale Instanz, die die Experimente im Bedretto-Untergrundlabor überwacht?
Ja, eine neutrale Überwachungsinstanz ist uns ganz wichtig. Der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich gehört daher zu unserem Projektteam. Seine Mitarbeiter begleiten unsere Arbeiten sehr eng und unterstützen uns bei der Planung und Durchführung der Messungen. Um auch kleinste Erdbeben zu erkennen, haben wir grossräumig um das Bedretto-Untergrundlabor herum drei neue Seismometer installiert: am Furka-, Nufenen- und Gotthardpass. Ebenso im Innern des Tunnels, wo sich ein Seismometer ganz am Anfang des Tunnels, eines ganz am Ende und drei direkt im Umfeld des Untergrundlabors befinden. Die Messungen werden alle vom Schweizerischen Erdbebendienst kontrolliert, und die Ergebnisse sind für die Öffentlichkeit online einsehbar.
Interview: Brigitt Blöchlinger
Fotos: Felix Wey