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Training für künstliche Muskeln
Stetige Fortschritte und neue Projekte: Das Team am Zentrum für künstliche Muskeln in Neuenburg hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich. Gemeinsam mit Chirurgen arbeitet es an innovativen Lösungen für Menschen mit Herzkrankheiten, Inkontinenz und Gesichtslähmungen.
Muskeln wachsen, wenn man mit ihnen arbeitet. Und genau so scheint es mit dem Zentrum für künstliche Muskeln (CAM) am Standort Neuenburg der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) zu sein: Das Team um Direktor Yves Perriard und Geschäftsführer Yoan Civet arbeitet kontinuierlich und beharrlich, sodass die Projekte auf allen Ebenen gedeihen.
Da ist das bisherige Vorzeigeprojekt: der elektroaktive, batteriebetriebene Polymerring, der die Pumpleistung der Aorta bei Menschen mit Herzschwäche entscheidend verstärken soll. Mit diesem System führten die Forschenden im Herbst 2022 Tests bei Schweinen durch. «Wir konnten die Pumpleistung um bis zu 15 Prozent erhöhen», sagt Yoan Civet. Das ist eine Verdreifachung gegenüber früheren Resultaten.
Reichen tut es aber nicht, wie Yves Perriard sagt. «Ursprünglich wünschten sich die Chirurgen eine Verbesserung der Herzleistung um 20 Prozent. Nun aber möchten sie mehr: 30 bis 40 Prozent.» Mit ein Grund dafür: Bislang verwenden die Forschenden eine invasive Operationsmethode. Sie müssen mit ihrem Muskelring einen Teil der Hauptschlagader ersetzen und diese dafür aufschneiden.
Leistungsfähiger oder schonender
Die Forschenden versuchen deshalb, den künstlichen Muskel leistungsfähiger zu machen. Dazu verwenden sie ein etwas dickeres Material und verlängern den Ring auf zwölf Zentimeter. «Damit erreichen wir in Labortests eine Pumpleistung von 20 Prozent», sagt Civet. Das sei sehr vielversprechend. Denn frühere Tests zeigten, dass die erreichte Druckveränderung im starren Laborsystem nur halb so gross sei wie später im lebenden Organismus.
Eine zweite Idee ist es, den Muskelring um die Aorta zu legen, statt in sie. «Damit wären wir viel weniger invasiv, die 20 Prozent Verbesserung würden reichen», sagt Yves Perriard. Auch hier sind erste Resultate vielversprechend: Im Labor gelang es, den Muskel um eine künstliche Aorta zu legen und damit die Leistung deutlich zu erhöhen. «Beide Systeme müssen wir nun im Schwein testen», sagt Perriard. Neben der Aorta-Pumpe läuft am CAM neu ein zweites Herz-Projekt: Dabei geht es darum, Kindern mit einem Herz zu helfen, das nur aus einer statt zwei Kammern besteht. Bei ihnen vermischen sich der Lungen- und der Körperkreislauf. Chirurgen trennen diese beiden Herzkreisläufe, indem sie eine Röhre implantieren, welche das aus den Organen zurückkommende Blut in die Lungen weiterleitet.
«Unsere Idee ist es, diesen passiven Blutfluss durch einen aktiven zu ersetzen», erzählt Yoan Civet. Dafür kombinieren die Forschenden ihr weiches, verformbares Polymermaterial mit Blutgefässen. «Wenn wir die weichere Röhre in einer bestimmten Frequenz kontrahieren und wieder öffnen, erzeugen wir einen Fluss – ohne eine Klappe zu verwenden.» Auch hier seien erste Resultate sehr ermutigend.
Plattform für Blasenzellkultur
Das zweite Arbeitspaket der Gruppe ist die Urologie. In einem Projekt arbeiten die Forschenden daran, mit einem künstlichen Muskel die Harnröhre abzuklemmen, um inkontinente Patienten zu entlasten. Momentan entwickeln sie eine künstliche Harnröhre, um ihre Idee im Labor einfach testen zu können. In einem zweiten Projekt geht es darum, für Urologen des Berner Inselspitals eine Plattform zu entwickeln, auf der diese Zellen der Harnblase wachsen lassen und untersuchen können. «Harnblasenzellen kann man nicht in einer Petrischale züchten», erklärt Yoan Civet. Denn die Blase vergrössert sich jedes Mal, wenn Urin gespeichert wird – und schrumpft, wenn sie entleert wird. Harnblasenzellen benötigen diese ständige Dehnung und Kontraktion, um korrekt zu wachsen und zu funktionieren.
Das extrem elastische Material, das die CAM-Forschenden für ihre künstlichen Muskeln verwenden, könnte sich perfekt eignen, um diesen Vorgang zu simulieren. Deshalb entwickeln sie nun eine elastische Membran, auf deren Oberseite und Unterseite die beiden Zelltypen wachsen werden, aus denen die Harnblase besteht.
Der dritte Arbeitsbereich ist die Gesichtsrekonstruktion. Hier könnten künstliche Muskeln beispielsweise die aufwändige Transplantation von körpereigenen Muskelstücken bei Patienten mit einseitigen Gesichtslähmungen ersetzen. Die Neuenburger Forschenden haben dazu kürzlich eine erste Studie publiziert. Darin zeigen sie, dass ihr künstliches Muskelsystem im Mundbereich die Nervensignale sehr rasch in eine Bewegung überträgt. Es könnte sich also eignen, um Patienten die Fähigkeit zu lächeln zurückzugeben. In einem Schädelmodell werden die Untersuchungen nun weitergeführt. Es gibt also viel zu tun im Zentrum für künstliche Muskeln.