Die Auftaktveranstaltung des WSS-Forschungszentrums «catalaix»
Volles Haus: Die Auftaktveranstaltung des WSS-Forschungszentrums «catalaix» stiess auf grosses Interesse.

Auf ins Kunststoff-Abenteuer

Mit rund 200 Gästen hat das WSS-Forschungszentrum «catalaix» Ende September seine festliche Auftaktveranstaltung abgehalten. Das von der Werner Siemens-Stiftung mit 100 Millionen Schweizer Franken finanzierte Projekt will Kunststoffe in ihre Einzelteile zerlegen und so die Basis schaffen für eine mehrdimensionale Kreislaufwirtschaft.

Zur Auftaktveranstaltung hatten die Leiter des WSS-Forschungszentrums «catalaix», Professorin Regina Palkovits und Professor Jürgen Klankermayer, nach Aachen geladen. Rund 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nahmen teil und feierten den Start des Projekts, das die Werner Siemens-Stiftung (WSS) mit ihrer Ausschreibung zu ihrem 100-Jahr-Jubiläum und dem Preisgeld von 100 Millionen Schweizer Franken, verteilt auf zehn Jahre, ermöglicht hat.

Christina Ezrahi, Mitglied des Beirates der Familie der WSS, überbrachte die Glückwünsche der Stiftung. Die Absicht von «catalaix», die Kunststoffindustrie nachhaltiger zu machen, wäre ganz im Sinne von Werner Siemens gewesen, sagte sie. Er habe stets Wert darauf gelegt, mit seinen Innovationen Probleme der Menschen zu lösen. So sagte Werner Siemens einst: «Der Wert einer Erfindung liegt in ihrer praktischen Durchführung.»

Gratulationen überbrachten auch Sibylle Keupen, die Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen, und Ulrich Rüdiger, der Rektor der RWTH Aachen. Beide betonten, wie wichtig «catalaix» für Aachen und seine Universität ist. «Das Projekt wird dazu führen, dass innovative Startups gegründet werden», sagte Sibylle Keupen. «Das wird positive Auswirkungen auf die Stadt haben.» Und Ulrich Rüdiger verwies auf die Verantwortung der Forschung, neue Wege zu beschreiten. Genau dies tue «catalaix».

Kreisläufe statt lineare Produktion

Regina Palkovits und Jürgen Klankermayer stellten das Forschungszentrum und dessen Idee vor. Klankermayer verwies auf die Bedeutung der chemischen Industrie, die heute vor allem aus nicht erneuerbaren Energieträgern wie Erdöl und Erdgas vielerlei Produkte herstellt, die für unser tägliches Leben unverzichtbar sind. Ein wichtiger Zweig ist die Kunststoffproduktion – jährlich werden 430 Millionen Tonnen Plastik hergestellt, im Jahr 2050 könnte es bereits eine Gigatonne sein.

Das Problem: Der Grossteil dieser aufwändig produzierten Stoffe wird nach ihrem Gebrauch deponiert oder thermisch verwertet. «Es ist eine lineare Produktionsweise», sagte Klankermayer. Nur ungefähr zehn Prozent der Kunststoffe werden heute rezykliert. Hier setzt das WSS-Forschungszentrum an: Es will mittels chemischen Recyclings qualitativ hochwertige Produkte herstellen. «Kunststoffabfall soll zum Wertstoff werden», sagte Klankermayer.

Das Handwerkszeug der Forschenden ist die Katalyse – also jene Technik, die chemische Reaktionen ankurbelt oder erst ermöglicht. Bislang, erklärte Klankermayer, sei die Katalyse vor allem genutzt worden, um Bindungen zu knüpfen. «Wir wollen mit ihr auch Bindungen abbauen.» Und zwar derart massgeschneidert, dass sich die entstehenden Stoffe in eine mehrdimensionale Kreislaufwirtschaft einspeisen lassen: Plastikprodukte sollen also nicht mehr einfach in ihre kleinsten Bausteine zerlegt werden, sondern in Produkte, die sich in verschiedenen Produktionsketten einsetzen lassen.

Regina Palkovits betonte den Wert der Katalysatoren in solchen Prozessen. Sie verwies auf einige Beispiele, in denen die Forschenden bereits aufgezeigt haben, wie sich mittels Katalyse neue Monomere bei geringem CO2-Abdruck herstellen lassen. Am WSS-Forschungszentrum «catalaix» mit seinen 17 Forschungsgruppen, so Palkovits, kommt die ganze Palette an Katalyse-Techniken zum Einsatz. Damit ebnet «catalaix» – von catalysis und Aix-la-Chapelle (französischer Name Aachens) – den Weg zu einer nachhaltigen Chemieindustrie der Zukunft.

Plastikstrudel im Meer

Eines der grossen Probleme, zu dessen Lösung «catalaix» beitragen wird, ist die Plastikverschmutzung in der Umwelt – vor allem in den Weltmeeren. Welche Ausmasse die Plastikmüllberge im Meer angenommen haben, veranschaulichte Steffen Knodt, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Maritime Technik. Ungefähr zwei Prozent des verbrauchten Plastiks gelangen laut ihm ins Meer, also ungefähr acht Millionen Tonnen pro Jahr. «2050 wird es ungefähr gleich viel Plastikmüll im Meer haben wie Fische.»

Einen grossen und enorm schädlichen Anteil machen Fischernetze und andere Kunststoffe aus der Fischerei aus. Knapp die Hälfte geht aufs Konto von Einwegverpackungen. Und eine der häufigsten Verunreinigungen sind laut Knodt die Plastikkappen von Getränkeflaschen. Angesammelt hat sich das Material vor allem in insgesamt sieben riesigen Plastikstrudeln, welche sich durch die Strömungen in den Weltmeeren bilden. Inzwischen gebe es Möglichkeiten, den Müll aus diesen Strudeln zu holen, sagte Knodt. Allerdings zu einem hohen Preis. «Man schätzt, dass es 7,5 Milliarden Dollar kosten würde, um einen dieser sieben Plastikstrudel zu reinigen.»

Eine enorme Herausforderung

Der Nachmittag war Fachvorträgen vorbehalten, die sich mit den Aussichten und Herausforderungen von «catalaix» beschäftigten. Unter dem Titel «Weshalb der Planet «catalaix» braucht» dokumentierte André Bardow, Professor für Energie- und Prozesssystemtechnik an der ETH Zürich, wie enorm die Herausforderung ist, die Plastikindustrie klimaneutral zu machen. Laut seinen Untersuchungen braucht es den Einsatz von grossen Mengen an Biomasse und erneuerbaren Energien – und eine Recyclingquote von mindestens 75 Prozent.

Gleichzeitig mahnte er die Forschenden in dem neuen WSS-Forschungszentrum, nicht zu einseitig auf die Entwicklung von Katalysatoren zu setzen. Neben guten Katalysatoren brauche es zweierlei, sagte Bardow: genügend Rohstoff und einen wirtschaftlichen Produktionsprozess. «Ohne dies bleibt ein toller Katalysator ein brotloses Stück Kunst.»

Bert Weckhuysen, Professor für Anorganische Chemie und Katalyse an der Universität Utrecht, setzte den Schwerpunkt seiner Rede auf die «Raffinerie der Zukunft», bei der chemische Produkte nicht mehr aus Rohöl, sondern aus Plastikabfällen und erneuerbaren Energien hergestellt werden. Neue Katalysatoren spielten dabei eine entscheidende Rolle, sagte er. Aber auch neue Prozesse, neue Reaktoren – und sehr viel Platz und Ressourcen für Windräder und Solaranlagen.

Ein langer Atem ist nötig

Die abschliessenden Kurzvorträge von fünf Forschungsgruppen-Leiterinnen und -Leitern, die an «catalaix» beteiligt sind, zeigten zweierlei: Die Arbeiten schreiten zügig voran – und die Forschenden sind sich bewusst, dass massgeschneiderte Katalysatoren alleine das Problem nicht lösen können. Es müssen skalierbare Verfahren entwickelt werden, die auch mit grossen Produktionsmengen funktionieren. Um das zu gewährleisten ist das Team enorm interdisziplinär aufgestellt und beackert sämtliche Schritte vom Chemielabor über die Pilotanlage bis zur Wertschöpfungskette für entstehende Produkte. «Die Translation ist ein entscheidender Punkt», sagt Regina Palkovits. «Denn wir wollen die Ideen aus dem Labor beschleunigen und vom Experiment über den Prototypen auf den Markt bringen.»

In einer Gesprächsrunde an der Veranstaltung wurde Professor Matthias Kleiner, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Werner Siemens-Stiftung und Projektleiter des WSS-Jahrhundertprojekts, nach der Besonderheit von «catalaix» gefragt. Für ihn, antwortete er, sei es der Mut, ein derart grosses Problem wie die lineare, erdölbasierte Plastikindustrie und ihre Auswirkungen anzugehen. Realistischerweise komme ein solches Projekt in einer Förderperiode von zehn Jahren zu keinem Ende. «Wir stehen am Anfang einer langfristigen Entwicklung», sagte Kleiner. «Ich hoffe aber, dass wir in zehn Jahren so weit sind, dass Plastikwertstoffe ein Geschäftsfeld sind.»