Die Erdkruste soll in die Röhre
Geologische Lagerstätten lassen sich nur schwierig untersuchen. Professor Martin Saar von der ETH Zürich holt sie deshalb quasi ins Labor: In seinem neuen, von der Werner Siemens-Stiftung unterstützten Projekt wird er geologische Reservoire mit einem 3D-Drucker nachbilden und in einem weltweit einzigartigen MRI-Gerät darstellen, wie Gase, Flüssigkeiten und Gesteine einander gegenseitig beeinflussen.
Die Welt braucht saubere Energie – und neue Ideen, um die Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre in den Griff zu bekommen. Der Schlüssel für beides könnte unter unseren Füssen liegen. In bestimmten Sedimentschichten oder in alten Gas- oder Öl-Lagerstätten lässt sich fossiles CO2 speichern. Zudem birgt die Erde unvorstellbare Mengen nachhaltiger Energie: Ein Würfel Erdkruste mit zehn Kilometern Seitenlänge enthält genügend Wärmeenergie, um den Energiebedarf der gesamten Menschheit in einem Jahr zu decken.
Allerdings ist es eine Herausforderung, diese geothermischen Energiereservoire anzuzapfen. Die Bohrkosten sind hoch, da die Energie oft aus mehreren Kilometern Tiefe gewonnen werden muss. Und die Vorgänge im Erdinneren sind vielfach noch ungenügend verstanden. Der chemische, physikalische und biologische Zustand einer unterirdischen Schicht ist das Ergebnis eines Jahrmillionen dauernden Prozesses. «Wenn wir nun ein Fluid wie Wasser, CO2, Erdöl oder Erdgas hineinpumpen, speichern oder herausholen, setzen wir diverse Veränderungen in Gang und bringen dieses Gleichgewicht durcheinander», sagt der Geophysiker Martin Saar, Werner Siemens-Stiftungsprofessor für Geothermische Energie und Geofluide (GEG) an der ETH Zürich.
Chemische Reaktionen sorgen für Mineralausfällungen und Gesteinsauflösungen. Das kann wiederum zu Verschliessungen der Fliesswege führen, etwa für den Wärmetransport, oder es tun sich neue Fliesswege auf. Die veränderten Fliesswege ihrerseits beeinflussen das Fluid, wodurch noch mehr Gesteinsminerale aufgelöst oder ausgefällt werden können. «Es handelt sich um hochkomplexe Feedbackmechanismen», sagt Martin Saar. Über die Jahre können sie schwerwiegende Auswirkungen auf den Betrieb eines geothermischen Kraftwerks haben. Deswegen ist die Untersuchung des sogenannten reaktiven Transports – also der chemischen Wechselwirkung zwischen einem porösen Gestein und dem durchfliessenden Medium – enorm wichtig und einer der Schwerpunkte von Saars Forschungsgruppe.
Strömungen sichtbar machen
Oftmals kommen in der Geologie Computersimulationen zur Untersuchung von thermischen (T), hydraulischen (H), gesteinsmechanischen (M), chemischen (C) und biologischen (B) Prozessen zum Einsatz. Auch in der GEG-Gruppe nimmt die Entwicklung und Nutzung solcher numerischer Simulatoren eine zentrale Rolle ein. Allerdings sind die Rückkopplungseffekte bei diesen sogenannten THMCB-Prozessen oft nicht ausreichend verstanden. Computersimulationen alleine reichen deshalb nicht, THMCB-Experimente im Labor sind unabdingbar; sie dienen der Entwicklung und Kalibrierung der Computerprogramme.
Bisher führen Saar und sein Team solche Experimente oft mit dem gruppeneigenen Computertomographen (CT) durch. «Wir setzen ein Gestein einem bestimmten Druck und Temperatur aus, lassen ein Fluid durchströmen und schauen in Echtzeit, wo sich das Gestein auflöst, wo Mineralien ausgefällt werden», erzählt Saar. «Aber das Problem beim CT ist: Wir können fast nur sehen, wie sich das poröse Medium, das Gestein, verändert. Wir können kaum sehen, wie sich das Flussverhalten von Gasen und Flüssigkeiten verhält – zum Beispiel von CO2, das wir in eine Grundwasser-Sole einströmen lassen.»
Das soll sich ändern – dank Saars neuem Projekt, das die Werner Siemens-Stiftung (WSS) über die kommenden zehn Jahre mit insgesamt 15 Millionen Schweizer Franken unterstützt. Kernstück wird ein weltweit wohl einzigartiger, spezialangefertigter Magnetresonanztomograph (MRI) sein. MRI-Geräte werden heute vorwiegend in der Medizin eingesetzt. Gegenüber dem CT hat das MRI den Vorteil, dass es sich zur bildlichen Darstellung von verschiedenen Fluiden eignet, wie sie zum Beispiel in Geweben vorkommen. Vereinfacht gesagt, regt das MRI durch ein Magnetfeld bestimmte Atomkerne zur Schwingung an. Durch diese Schwingungen entsteht ein Signal, das gemessen und ausgewertet wird, um verschiedene Fluide oder Materialien voneinander zu unterscheiden.
Die am häufigsten mit MRI-Geräten untersuchten Atomkerne sind Wasserstoffatome (H-1). Es gibt aber auch die Möglichkeit, Isotope wie C-13, F-19, Na-23 und Xe-123 zu untersuchen. «Ich überlegte mir deshalb, ob wir mit einem MRI-Gerät Wasser, Wasserstoff, Sole, CO2, Methan und mit Fluor markierte Mikroben unterscheiden und darstellen können, während sie durch poröse Gesteine durchfliessen», erzählt Martin Saar. Er diskutierte die Idee mit mehreren renommierten MRI-Experten, die bestätigten, dass multinukleare MRI-Untersuchungen von reaktiven Transport-Experimenten auch unter hohen Drücken und Temperaturen in porösen Gesteins-Materialien möglich sein sollten, ohne das MRI dabei zu beschädigen. «Die einzelnen Komponenten, die es dazu braucht, existieren alle – aber noch nicht in der Kombination, die wir benötigen», sagt Martin Saar. Somit wäre das Gerät seines Wissens weltweit einzigartig.
Ausschreibung vorbereiten
Saar und sein Team werden nun Tests mit bereits bestehenden MRI-Geräten durchführen um herauszufinden, welche Spezifikationen sie benötigen, um ihre Experimente durchführen zu können. Eine Herausforderung ist der Hitzeschutz für die hochempfindlichen Magnetspulen des MRI. Denn um die Verhältnisse in den ersten fünf Kilometern der Erdkruste zu simulieren, müssen die Gesteine Temperaturen von bis zu 200 Grad Celsius und einem Druck von ungefähr 500 bar ausgesetzt werden. Eine Idee sei es, sogenannte Aerogele als Wärmedämmer zu benutzen, erzählt Saar. Schon dünne Schichten dieser Silicat-Strukturen sind ein effizienter Hitzeschutz. Erst wenn geklärt ist, welche Anforderungen jedes Bauteil erfüllen muss, wird Saar eine Ausschreibung für den Bau des neuartigen MRI formulieren.
Der Forscher schätzt, dass das Gerät ungefähr in zwei Jahren in seinem Labor stehen wird. Bis dann soll auch die zweite wichtige Komponente bereitstehen, die für die Experimente nötig ist: ein 3D-Drucker, der in der Lage ist, Keramik-Nachbildungen von Gesteinen mitsamt unterirdischen Lagerstätten, Reservoirs, Verwerfungen und Bohrlöchern zu drucken. Diese geologischen Formationen im Miniaturformat werden die Grösse von ein, zwei Backsteinen haben – und trotzdem alle wichtigen geologischen Schichten und Strukturen enthalten: Moderne 3D-Drucker sind in der Lage, Schichten zu drucken, die so dünn sind wie ein Hundertstel eines Millimeters.
Die massgeschneiderten Apparaturen werden ganz neue Einblicke in die Abläufe tief im Erdinneren ermöglichen – und damit die bereits seit zehn Jahren von der WSS geförderten, äusserst vielversprechenden Forschungsprojekte von Saars Team weiterbringen. Eines dieser Projekte beruht auf einer von Saar mitentwickelten Methode namens CPG (CO2-Plume Geothermal), die das Abscheiden und Einlagern von CO2 in tiefen geologischen Schichten wirtschaftlich machen soll. Wird das Klimagas zweieinhalb bis fünf Kilometer unter dem Boden gelagert, erwärmt es sich auf mindestens 100 Grad Celsius. Diese Wärme will Saar mit einem Kreislauf nutzen: Das erhitzte CO2 wird an die Oberfläche gebracht, treibt dort Turbinen zur Stromproduktion an, wird abgekühlt – und wieder im unterirdischen Lager versenkt, so dass letztlich alles anfänglich injizierte CO2 permanent im tiefen Untergrund gespeichert wird.CO2 ist viel weniger zähflüssig als Wasser und dehnt sich bei der Erwärmung viel stärker aus. Das führt zu einer grösseren Wärmeproduktionsrate und ermöglicht es, auch weniger durchlässige Gesteinsschichten mit relativ geringen Temperaturen zur geothermischen Energiegewinnung und sogar zur Stromerzeugung zu nutzen.
Das neuartige MRI eignet sich nicht nur zur Untersuchung der CO2-Speicherung, sondern auch für die Simulation einer Untergrundspeicherung von Wasserstoff, Methan und anderen Gasen. Auch hier können unzählige Variationen von geologischen Schichten und Bohrlöchern dreidimensional gedruckt werden, um dann Wasserstoff oder Methan in das miniaturisierte und unter Druck und Temperatur gesetzte Reservoir im MRI zu injizieren. Die Frage ist, unter welchen Bedingungen diese Gase optimal im Untergrund gespeichert und wieder zur Nutzung an die Erdoberfläche hervorgeholt werden können. Dies sei zum Beispiel wichtig, weil der viele «grüne» Wasserstoff, der dereinst erzeugt werden soll, vor allem im Untergrund zwischengespeichert werden müsse, da Oberflächentanks bei weitem nicht ausreichen würden, sagt Saar.
Methan-Herstellung mit Mikroben
Ein neues Projekt, das Saar besonders am Herzen liegt, ist quasi die Kombination von allem oben genannten: eine nachhaltige, unterirdische Methan-Produktion. Die Idee ist bestechend: Nachhaltig produzierter, «grüner» Wasserstoff und CO2 werden gemeinsam mit ganz bestimmten Mikroorganismen in den Untergrund gebracht. Die winzigen Lebewesen nutzen die dort vorhandene Wärme, um die beiden Moleküle – CO2-neutral – in Methan umzuwandeln. Die unterirdische Energiespeicherung in Form von Methan ist erprobt und sicher. Das Gas wird bei Bedarf an die Erdoberfläche geholt und als Energieressource mit bestehender Infrastruktur genutzt.
Doch diese sogenannte Methanogenese ist ein komplexer Vorgang. «So etwas sollte man nicht einfach im Feld mal ausprobieren, sondern vorher genauestens im Labor untersuchen», sagt Martin Saar. Für die Laboruntersuchungen sei das MRI perfekt geeignet: «Wir könnten beobachten, wohin CO2, Wasserstoff, Mikroben und das produzierte Methan wandern und wo sie sich ansammeln, und wir könnten die Platzierung von Injektions- und Produktionsbohrungen optimieren.» Das Ziel sei eine nahezu vollständige Umwandlung von «grünem» Wasserstoff und CO2 in «grünes» Methan, die vollständige Rückgewinnung des Methans über die Förderbohrungen und die Speicherung von übriggebliebenem Kohlendioxid im Untergrund.
Die Daten solcher Experimente werden dann in die numerischen Simulatoren einfliessen. «Es ist ein Traum für das Kalibrieren von THMCB-Computer-Simulationen, wenn man aus den MRI-Untersuchungen die 3D-Temperaturfelder, Druckfelder und Geschwindigkeitsvektoren der verschiedenen Fluide und Mikroben bekommt», sagt Saar. Mit diesem kombinierten Ansatz wird es möglich, Wechselwirkungen zwischen unterirdischen Prozessen auf räumlichen und zeitlichen Skalen in einer Weise zu extrapolieren, die mit Laborexperimenten oder Computersimulationen allein nicht möglich ist.
Ausserdem werden die Laborexperimente dazu dienen, Daten aus dem Feld zu konsolidieren. «Wir machen Feldarbeit an vielen Orten auf der ganzen Welt und werden die Felddaten benutzen, um realistische 3D-Druck-Modelle zu erstellen», sagt Saar. «Wenn wir beispielsweise jahrelange Messungen in einer Geothermieanlage in Indonesien auswerten, wissen wir nicht, ob sich die Befunde auf andere Standorte verallgemeinern lassen.» Indem sie jedoch zunächst Laborexperimente im MRI durchführen, damit die Computercodes kalibrieren und dann diese Codes verwenden, um numerische Simulationen für andere Standorte durchzuführen, können die Forschenden feststellen, ob ein Datensatz allgemeiner anwendbar ist.
Entstehung und Verbreitung des Lebens
Die neue MRI-Anlage ist aber nicht nur für Saars eigene Forschung interessant. Zum einen besteht eine Zusammenarbeit mit dem Centre for Origin and Prevalence of Life (COPL) an der ETH Zürich, das vom Astronomen und Nobelpreisträger Didier Queloz geleitet wird. Forschende des COPL sind daran interessiert, wo und wie in Gesteinsschichten sich Kohlenstoff und Mikroben ansiedeln und welche Temperaturen und Bedingungen dazu führen, dass letztere sich vermehren. Untersuchungen im MRI könnten dies simulieren – und Hinweise darauf geben, auf welchen Exoplaneten Leben entstehen könnte oder wie sich das frühe Leben auf der Erde entwickelt hat.
Zum anderen sind reaktive Transportprozesse auch wichtig, wenn eine Flüssigkeit durch eine Maschine fliesst und mit deren Strukturen interagiert. Es gebe bereits Interessenten aus der Kompressor- und Turbinenentwicklung, die das neuartige MRI-Gerät für ihre eigenen Untersuchungen nutzen möchten, erzählt Saar. Und genau dazu soll die einzigartige Anlage dienen. «Solch ein massgefertigtes Gerät ist viel zu teuer, um wenig genutzt zu werden», sagt Saar. «Mein Ziel ist, dass es praktisch rund um die Uhr benutzt wird. Forschende und Firmen aus der ganzen Welt sollen es für alle möglichen Fragestellungen benutzen können, weit über die Geowissenschaften hinaus.»
Um eine effiziente Nutzung des MRI-Geräts zu gewährleisten, hat Saar ein innovatives Konzept entwickelt: Weil reaktive Transportexperimente Wochen dauern können, wird jedes Experiment auf einem Experimentierwagen aufgebaut und durchgeführt. Das laufende Experiment wird dann jeweils nur für die 3D-Messungen oder -Visualisierungen in das MRI gebracht, wobei alle Schläuche und Kabel mit dem Experiment verbunden bleiben (siehe Grafik). «Das ist wie in einem Physikhörsaal, wo man die Experimente hinter den Kulissen vorbereitet und zum Vorführen auf die Bühne schiebt», sagt Saar. Der Vorteil: Das MRI bleibt nicht für Wochen besetzt, während das Experiment abläuft – zum Beispiel, wenn aufgrund langsamer Reaktionen nur alle paar Tage eine Messung nötig ist.
Auch solche scheinbaren Details sind wichtig. Denn schliesslich sollen aus der neuen, weltweit einzigartigen Forschungsanlage möglichst viele bahnbrechende Resultate herausgeholt werden.
Zahlen und Fakten
Mittel der Werner Siemens-Stiftung
15 Mio. CHF für 10 Jahre
Projektdauer
2024–2034
Leitung
Prof. Dr. Martin O. Saar, Professor für Geothermische Energie und Geofluide, Departement für Erd- und Planetenwissenschaften, ETH Zürich