Vier junge Männer beim Diskutieren am Luganersee
Gruppenarbeit am Luganersee: Sommercamp der Schweizerischen Studienstiftung in Magliaso.

Frische Ideen in der Klimakrise

Um die Zukunft nachhaltiger zu gestalten, braucht es die Wissenschaft, aber auch politisch und gesellschaftlich umsetzbare Rezepte. Im Rahmen einer Sommerakademie im Kanton Tessin sind Studierende in die Klimaforschung eingetaucht und haben nach effektiven Klimaschutz-Massnahmen gesucht.

Der Tisch steht nur wenige Dutzend Schritte vom Ufer des Luganersees mit seinem stahlblauen Wasser. Aber die fünf jungen Frauen und Männer, die hier sitzen, haben momentan keine Augen für die Schönheiten der Natur. Angeregt diskutieren sie. Sie stehen unter Zeitdruck. Bis am Abend müssen sie einen Plan erstellt haben, um die Welt zu retten.

Ganz so dramatisch, wie das klingt, ist es nicht. Es handelt sich um eine Gruppenarbeit im Rahmen der Sommerakademie «Climate Change: From Science to Solutions», welche die Schweizerische Studienstiftung – unterstützt von der Werner Siemens-Stiftung – in dieser Septemberwoche durchführt. Die Aufgabe der Fünfergruppe: ein Konzept für eine globale CO2-Steuer ausarbeiten. Bis heute gleicht die Erhebung von CO2-Preisen einem Flickenteppich – längst nicht alle Länder kennen eine solche Steuer und die Unterschiede zwischen den verwendeten Systemen sind beträchtlich.

Wie lässt sich die Einführung einer globalen Steuer erreichen? Wie muss sie ausgestaltet sein, damit sie funktioniert, gerecht ist und keine Schlupflöcher offen lässt? Das sind Fragen, welche die bunt gemischte Gruppe zu beantworten versucht. Sie besteht aus drei Studentinnen und zwei Studenten verschiedenster Fachrichtungen aus der Schweiz und aus Österreich. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle werden gefördert von der Studienstiftung ihres Landes – und haben im Rahmen der Förderung die Möglichkeit, an Weiterbildungen wie den Sommerakademien in Magliaso im Kanton Tessin ganz im Süden der Schweiz teilzunehmen.

Diese Arbeitswochen sind stets äusserst vielfältig aufgebaut. Dass die Studierenden eigene kreative Konzepte oder Projekte entwickeln, ist ein Kernpunkt. Doch sie erweitern ihren Horizont auch im Austausch mit arrivierten Forscherinnen und Forschern und kommen in den Genuss von Referaten hochkarätiger Fachleute. Am Morgen des heutigen Tages der Klimawandel-Sommerakademie etwa hatte Gabriela Blatter, Verhandlerin und Expertin für Umweltfinanzierung beim Bundesamt für Umwelt, den Studentinnen und Studenten Einblicke gegeben in die Welt der Umweltdiplomatie. Sie erzählte von ihren Erfahrungen bei internationalen Klimaverhandlungen. Darüber, wie Allianzen geschmiedet werden, mit welchen Strategien die Verhandlungspartner ihre Ziele zu erreichen versuchen, wie Übereinkommen nach langen Nachtschichten im letzten Moment verabschiedet werden – oder scheitern. «Klimapolitik ist Interessenpolitik», sagte Blatter.

Die Lösungen zu kennen, reicht nicht

Das ist ein Grund dafür, weshalb es so schwierig ist, die wohl grösste Bedrohung für Umwelt und Mensch der heutigen Zeit in den Griff zu bekommen. «Die Wissenschaft des Klimawandels ist eigentlich einfach», sagt Sonia Seneviratne, Professorin für Land-Klima-Dynamik an der ETH Zürich, Vorstandsmitglied im Weltklimarat (IPCC) und Co-Leiterin der Sommerakademie. «Je mehr fossile Energie wir verbrauchen, desto grösser die Erwärmung. Die Lösungen sind da, wir müssen sie einfach umsetzen: Wärmepumpen statt Ölheizungen, Wind- und Solarenergie.» Doch die Lösungen zu kennen, sei nicht genug, ergänzt Sommerakademie-Co-Leiter Rolf Wüstenhagen, Professor für Management Erneuerbarer Energien an der Universität St. Gallen (HSG). «Wir dürfen nicht unterschätzen, wie wichtig emotionale Faktoren und Verhaltensroutinen sind. Nur wer diese einbezieht, kann die Menschen zum Handeln motivieren.»

Genau von diesen Überlegungen haben sich die beiden leiten lassen, als sie das Programm der Woche zusammenstellten. «Ein Teil sollte sich mit naturwissenschaftlichen Fragen befassen, der andere mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen für mögliche Lösungen», sagt Sonia Seneviratne. Und weil die Klimaerwärmung unterschiedlichste Probleme verursache, gebe es auch diverse Wege, diese anzupacken, sagt Rolf Wüstenhagen. An einigen arbeiten die Studierenden in ihren Gruppenarbeiten, welche er gemeinsam mit der Denkfabrik Foraus erarbeitet hat. «Die Studierenden sollen verstehen, dass Klimapolitik auch eine aussenpolitische Dimension hat, und gemeinsame Lösungswege suchen», sagt Wüstenhagen.

Die globale CO2-Steuer ist eine dieser Ideen – der Verursacher soll jene Kosten tragen, die er mit seinem umweltschädlichen Verhalten für die Allgemeinheit verursacht. Die Fünfergruppe hat die Schweizer CO2-Abgabe als Ausgangspunkt genommen. In der Schweiz wird auf jede Tonne CO2 ein bestimmter Steuerbetrag erhoben, momentan 120 Franken. Die Einnahmen fliessen zum grössten Teil wieder zurück an die Bevölkerung, über eine Verrechnung mit den Krankenkassenprämien sowie über Fördergelder bei der energetischen Sanierung von Gebäuden.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

In vielen Ländern der Welt sind 120 Franken pro Tonne CO2 ein Betrag, der über die finanziellen Möglichkeiten grosser Bevölkerungsschichten hinausgeht. Deshalb sei ein wichtiger Aspekt, bei einer globalen CO2-Steuer die Kaufkraft der verschiedenen Länder zu berücksichtigen, sagt Sophie Halper, die an der Universität Innsbruck Rechtswissenschaften studiert. Auch die Rückverteilung sei eine Knacknuss: Wie erreicht man Menschen, die über kein Sparkonto verfügen, geschweige denn über eine Krankenversicherung? Und wie verhindert man, dass das Geld in autoritären Staaten in die falschen Hände gerät? Über solchen Fragen brüten die fünf – und es ist ihnen natürlich klar, dass sie innert solch kurzer Zeit nicht das Ei des Kolumbus finden werden.

Er finde es aber sehr spannend, während der Studienwoche nach solchen Lösungsansätzen zu suchen, sagt Raphael Knecht, der an der Universität Zürich Geographie studiert. «Es ist schon eindrücklich, dass wir als Gesellschaft noch nicht weiter sind, obwohl die meisten Lösungen eigentlich auf dem Tisch liegen.» Für Leoni Rast, Studentin der Agrarwissenschaften an der ETH Zürich, ist es alleine schon aus beruflicher Sicht wichtig, über Lösungsansätze zu diskutieren. «Die Klimaerwärmung wird die Landwirtschaft verändern, auch deshalb ist sie ein grosses Thema für mich.»

Auch Maya Krell, die an der ETH Zürich Pharmazie studiert, beschäftigt der Klimawandel. Sie habe immer wieder Diskussionen mit Menschen, die ihre Position und ihre Besorgnis nicht verstünden, erzählt sie. «Da ist es schön, hier mit Leuten zusammen zu sein und zu diskutieren, die eine ähnliche Meinung haben wie ich.»

Zumal man einiges voneinander lernt: Marcel Simma, Wirtschaftsinformatik-Student an der WU Wien, findet es spannend, auch Unterschiede zwischen Ländern zu diskutieren. In Österreich, erzählt er, sei die Rückerstattung aus der CO2-Steuer im Gegensatz zur Schweiz vom Wohnort abhängig. «Wer in der Grossstadt Wien wohnt, erhält einen kleineren Betrag als jemand im ländlichen Montafon, weil dort die Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr weniger gut ist.»

Frische Perspektiven

Die globale CO2-Steuer ist nicht das einzige Thema, das Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerakademie bearbeiten. Eine andere Gruppe befasst sich beispielsweise mit der Frage, wie sich die Beteiligung an klimafreundlichen Projekten durch bessere Kommunikation erhöhen lässt. Und eine dritte Gruppe schreibt einen Bericht dazu, wie die europäischen Länder die Planung ihrer Stromnetze aufeinander abstimmen könnten. Die Schweiz, findet die Vierergruppe, würde sich hervorragend als treibende Kraft einer solchen Idee eignen. Mit ihrer geographischen Lage im Herzen Europas könnte sie dank ihrer Wasserkraftwerke und Speicherseen die notwendige Flexibilität liefern, um das grosse Wachstum von Solar- und Windenergie in den Nachbarländern zu bewältigen. Damit die Schweiz eine solche konstruktive Rolle im Energiemarkt spielen kann und ihre europäischen Nachbarn nicht ohne sie planen, braucht es jedoch Lösungen für die institutionellen Fragen der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union.

Wer den Studierenden zuhört, merkt rasch, wie viel Fachwissen, Kreativität und Motivation sie mitbringen. Etwas, was auch den beiden Leitern aufgefallen ist. «Ich erlebe die Studierenden sehr motiviert», sagt Sonia Seneviratne. «Sie haben viele Fragen und scheuen sich auch nicht, sie zu stellen.» Spannend sei zudem, dass viele aus den Geisteswissenschaften stammten, nur wenige aus der Physik oder den Klimawissenschaften. «Das ergibt frische Perspektiven und fördert ein interdisziplinäres Denken.»

Auch Rolf Wüstenhagen schätzt die Zusammenarbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr. Für die Studienwoche ist ihm zweierlei wichtig: «Zum einen sollen die Studierenden in dem Kurs lernen, sich eine fundierte Meinung zu bilden.» Zum anderen hoffe er, dass sie angesichts der schier unlösbar scheinenden Probleme nicht resignieren. «Ich würde mir wünschen», sagt er, «dass sie trotz des Ernsts der Lage mit einer gewissen Zuversicht heimkehren.» Wenn man zusieht, mit wie viel Lust, Elan und Leidenschaft in den Gruppen diskutiert wird, zweifelt man nicht daran, dass sich seine beiden Hoffnungen erfüllen werden.