Vom «idealen Lernen»
Die Studentinnen und Studenten, die an einer der vier Sommerakademien der Schweizerischen Studienstiftung teilnehmen dürfen, leisten nicht nur in ihrem Studium Hervorragendes – sie sind auch neugierig auf neue Herausforderungen. Nicht wenige der achtzig Teilnehmenden wählen an der Sommerakademie ein ihnen unbekanntes Thema. Fünf Kurzporträts von MINT-Talenten, die die Sommerakademie 2017 in Magliaso besucht haben.
Maximilian Mordig
studiert Physik und Computational Science and Engineering, Sommerakademie «Gesundheitsmanagement mit begrenzten Ressourcen»,
20 Jahre alt
«Ich konnte vier Klassen überspringen, mit 15 machte ich Matura und begann an der ETH Lausanne Physik zu studieren – wegen dem Französisch und weil mir die legere Lebensart der Romandie zusagt. Mit 20 habe ich meinen Master gemacht. Da ich anfangs noch jung war, wohnte ich zuerst bei einer Gastfamilie in Lausanne. Am Wochenende fuhr ich oft heim zu meiner Familie im Baselbiet. Meine Eltern sind Ärzte, ich habe noch zwei Brüder und eine Schwester. Wir sind eine sportliche Familie, ich jogge und fahre Velo.
Am produktivsten bin ich unter Zeitdruck und wenn ich mehrere Dinge gleichzeitig tue. Kurz vor der Deadline fallen mir die besten Ideen ein. Parallel zum Studium lese ich die verschiedensten Bücher, letzthin von Balzac und Albert Schweitzer. Auch lerne ich gerne neue Orte kennen. Mit 16 war ich acht Wochen in Qingdao, um Chinesisch zu lernen. Anfangs verstand ich gar nichts und konnte nicht einmal Essen bestellen, das war ziemlich ungewohnt. Nach drei Wochen ging es recht gut.
Als nächstes werde ich die Rekrutenschule absolvieren, am liebsten als Sanitäter oder Gebirgsspezialist. Im Militär bin ich gezwungen, mit den verschiedensten Leuten auszukommen – das werde ich brauchen können, wenn ich einmal in einer Führungsposition bin. Meine strukturierte Art zu denken ist ja nur eine unter vielen. Ich möchte Professor für Theoretische Mathematik werden. Mir gefällt Algebra sehr, alles basiert auf Grundannahmen und Definitionen, darauf baut man auf und kommt schliesslich zu schönen Resultaten – das hat für mich etwas ‹Magisches›. Ich könnte mir aber auch vorstellen, später einmal ein Informatik-Start-up zu gründen. Wenn ich zu lange das Gleiche mache, wird mir langweilig.»
Roman Blum
studiert Mikrotechnik, Sommerakademie «Kulturelle Evolution und Religion»,
23 Jahre alt
«Als Jugendlicher habe ich oft Velos umgebaut. Mit dem Ziel, sie ohne Zusatzteile zu Fixies umzubauen. Das hat zwar mehr oder weniger funktioniert, sie waren aber kriminell zu fahren. Vor einem Jahr habe ich mir ein richtiges Fixie gekauft. Mich fasziniert deren spezielle Fahrdynamik.
Ich habe die zweisprachige Matura (Deutsch/Englisch) mit Schwerpunktfach Russisch abgeschlossen und studiere jetzt Mikrotechnik an der ETH Lausanne. Ich habe das Gefühl, dass ich in den Naturwissenschaften am meisten bewirken kann. Es reizt mich, etwas Neues zu erschaffen, das objektiv besser ist als das Alte. Mein Traum ist ein Computer, der nicht Elektronen, sondern Photonen zur Informationsübertragung nutzt.
Seit gut zwei Jahren bin ich passionierter Fotograf. Vor meinem Studienaufenthalt in Schweden habe ich mir eine Spiegelreflexkamera gekauft, seither begleitet sie mich überallhin. Ich nehme Landschaften, Städte, Personen und selbst arrangierte Stillleben auf – und allerlei Events der Association des Etudiants en Microtechnique.
Meine bisherigen Führungserfahrungen habe ich im Militär gemacht. Ich habe durchgedient als ABC-Unteroffizier. Mit harter Führung habe ich kein Problem, sofern die Umstände sie erfordern.
Ich besuche die Sommerakademie «Kulturelle Evolution und Religion». Es gefällt mir, ohne festgelegtes Ziel immer weiter diskutieren zu können und vieles über die Geschichte der Menschheit zu erfahren. Das finde ich wichtig für meine Generation; uns fehlen oft die grösseren Zusammenhänge.»
Nicole Speck
Stipendiatin der Werner Siemens-Stiftung, studiert im Master Humanmedizin, Sommerakademie «Big Data»,
24 Jahre alt
«Ich möchte mich in plastisch-rekonstruktiver Chirurgie spezialisieren. Dieser Zweig der Chirurgie stellt bei Verbrennungsopfern oder nach der Entfernung grosser Tumore das Gesicht oder andere betroffene Körperstellen wieder her, zum Beispiel die Brust nach einer Krebsoperation.
Nächstes Jahr reise ich für einen Monat nach Südafrika, um in Unfallchirurgie und Intensivmedizin Erfahrungen zu sammeln – in Südafrika kommen viel mehr Leute mit Stichwunden oder Schussverletzungen ins Spital als in der Schweiz. Nachher möchte ich mich in Australien in die Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie vertiefen. Diese Auslandaufenthalte sind auch der Grund, weshalb ich auf die Idee kam, ein Stipendium der Werner Siemens-Stiftung zu beantragen – als finanzielle Unterstützung während der Praktika. Aber auch den Austausch mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten finde ich sehr anregend.
Nach dem Master gehe ich wahrscheinlich nach Kalifornien in die Stammzellen- und Hautersatz-Forschung. Ich suche die Auslanderfahrungen bewusst. Letztes Jahr war ich in einem Operationssaal in Oxford, es war erstaunlich, wie anders sie dort arbeiten. Alle diese verschiedenen Erfahrungen werden mir einmal helfen, meine eigene Methode als Chirurgin zu entwickeln.
Die bildenden Künste faszinieren mich ebenfalls, vor allem Skulpturen und Architektur. Sie sind gar nicht so weit entfernt von der plastischen Chirurgie: Wir müssen neben Anatomiekenntnissen auch ein Auge dafür haben, was natürlich wirkt und sich möglichst schön ins Gesamtbild einfügt. Ich kann Stunden im Louvre in Paris in der Skulpturenabteilung verbringen und beobachten, wie sich die Objekte mit dem Licht und dem Blickwinkel verändern.»
Aline Steiner
doktoriert in Veterinärmedizin, Sommerakademie «Gesundheitsmanagement mit begrenzten Ressourcen»,
26 Jahre alt
«Meine Doktorarbeit wird eine kritische Literaturarbeit: Ich hinterfrage bisherige Studien mit Labortieren. Es scheint nämlich so zu sein, dass die Art der Narkose, die man in Tierversuchen verwendet, einen Einfluss hat auf die Resultate – was die Vergleichbarkeit dieser Studien in Frage stellt. Ich bin überzeugt, dass es auch mit weniger Tierversuchen im vorklinischen Stadium ginge. Tierversuche sollten nur bewilligt werden, wenn sie zu hundert Prozent nötig und durchdacht sind und wenn die Studienqualität stimmt. Und wenn schon Tierversuche, dann unter besseren, artgerechteren Haltungsbedingungen als derzeit. In der heutigen Tierhaltung sind Laborratten und -mäuse zum Beispiel völlig unterfordert; auch kann man eine Ratte zähmen, eine Maus jedoch nicht, deshalb sind Mäuse extrem gestresst, wenn man mit ihnen einen Versuch macht. Aus diesem Grund finde ich: Wenn schon Tierversuche, dann mit jener Spezies, bei der die Belastung durch den Versuch am geringsten ist.
Führungserfahrung habe ich bis jetzt nur wenig. Ich arbeite neben dem Doktorat Teilzeit als Assistenzärztin im Tierspital, wir sind ein grosses Team. Gute Führung hat viel mit Wertschätzung und Zwischenmenschlichem zu tun, finde ich.
In meiner Familie setzen sich alle im Tierschutz ein. Mein Bruder und ich waren auch schon als Helfer in einem rumänischen Tierheim, das empfand ich als sehr schön und sinnvoll. Ich berate nun bei Bedarf das Vermittlungsteam der Casa Cainelui bei medizinischen Fragen. Meinen Hund habe ich auch von dort.
Es ist nun bereits das vierte Mal, dass ich eine Sommerakademie besuche. Hier ist es so, wie ich mir das ideale Lernen immer vorgestellt habe.»
Servan Grüninger
Bachelor in Biologie, Master in Biostatistik und Zweitmaster in Computational Science and Engineering, Co-Leiter «Big Data»,
26 Jahre
«Der Biostatistiker Stephen Senn meinte einmal, dass Statistiker zweitklassige Mathematiker, drittklassige Naturwissenschaftler und viertklassige Denker seien. Das stimmt wohl, aber es bedeutet auch, dass Statistiker sehr interdisziplinär denken und in vielen Bereichen mitreden können – das entspricht mir. Ich habe einen Bachelor in Biologie, mit den Nebenfächern Neuroinformatik, Politikwissenschaften und Recht, und einen Master in Biostatistik der Universität Zürich. Und um meine zweitklassigen Mathematikkenntnisse aufzubessern, mache ich zurzeit einen Zweitmaster in Computational Science and Engineering an der ETH Lausanne.
Dieses Jahr bin ich nicht Teilnehmer, sondern Co-Leiter einer Sommerakademie, zum Thema Big Data. Wir haben ein Programm zusammengestellt, dass möglichst allen einen Zugang zu Big Data ermöglichen soll, auch jenen, die noch nie damit zu tun hatten.
In den letzten Jahren habe ich neben dem Studium immer gearbeitet. Erst im Verkauf, dann im Buchhandel, schliesslich in der Forschung und seit 2014 als Blogger und Freelancer für die NZZ. Seit drei Jahren bin ich zudem beim Wissenschafts-Think-Tank ‹reatch – research and technology in Switzerland› aktiv. Wir engagieren uns für eine wissenschaftsfreundliche Kultur, die das Potenzial der Wissenschaften ausschöpft, ohne technokratisch über gesellschaftliche Anliegen hinweg zu entscheiden. Reatch will das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaften stärken und die Verantwortung der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gegenüber der Gesellschaft fördern.»
Kurzporträts: Brigitte Blöchlinger
Fotos: Frank Brüderli