Im Jahr 2018 hat das Team unter Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück ein neuartiges Pflanzenschutzmittel vorgestellt. Es tötet die Schädlinge nicht, sondern vertreibt sie – wie ein Insektenspray für Menschen.
Im Jahr 2018 hat das Team unter Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück ein neuartiges Pflanzenschutzmittel vorgestellt. Es tötet die Schädlinge nicht, sondern vertreibt sie – wie ein Insektenspray für Menschen. Die innovative Neuentwicklung stösst auf grosses Interesse in der Agrochemie-Industrie.

Verdufte, Schädling!

2018 war für die Bienen ein Glücksjahr. Ebenso für die Synthetische Biotechnologie. Im Februar 2018 verbot die EU die gängigen Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide, von denen schon länger bekannt war, dass sie auch Nützlinge wie Bienen vernichten. Der Zufall wollte es, dass die Gruppe um Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück kurz danach ein biologisch abbaubares Pflanzenschutzmittel präsentieren konnte, das Insekten nicht vergiftet, sondern nur über den Duft vertreibt – wie Mückenspray. «Die Resonanz auf unsere Entwicklung war unglaublich», erzählt der Leiter der Synthetischen Biotechnologie an der Technischen Universität München.

Seit die sieben weltweit zugelassenen, hochwirksamen Insektizide aus der Gruppe der Neonicotinoide in der EU verboten sind, herrscht Aufregung in der Landwirtschaft. Ein Ersatz muss her, und zwar schnell. Insbesondere die Produzenten von Zuckerrüben und Weizen – den zwei wichtigen Agrarpflanzen in Deutschland – brauchen sofort neue Pflanzenschutzmittel. Zwar war schon länger bekannt, dass Neonicotinoide nicht nur saugende und bohrende Schädlinge wie Blattläuse oder Mottenschildläuse töten, sondern auch Bienen, Hummeln, Schmetterlinge, Käfer, Grashüpfer und andere Nützlinge. Das Kontakt- und Frassgift greift deren Nervensystem an, was zu Krämpfen und schliesslich zum Tod führt. Trotzdem setzte man die Neonicotinoide in der Landwirtschaft weiter im grossen Stil ein. Bis eine Studie von Wood und Goulson 2017 ihre schädliche Wirkung auf das Ökosystem der wichtigsten Bestäuber aufzeigte. Auch die EU weiss, dass Bienen und andere Pflanzenbestäuber der «Kollateralschaden» des Einsatzes von Neonicotinoiden sind – und dass man sich diesen Kollateralschaden nach dem grossen Bienensterben in verschiedenen Gebieten eigentlich nicht leisten kann. Denn ohne Bestäuber ist die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ernsthaft gefährdet. Die EU erliess deshalb im Februar 2018 ein Verbot der Neonicotinoide. Seither erlebt Werner Siemens-Stiftungsprofessor Thomas Brück einen wahren Ansturm an Anfragen nach dem neuartigen Pflanzenschutzmittel, das sein Team aus der Synthetischen Biotechnologie an der Technischen Universität München (TUM) entwickelt hat. 

Fernhalten statt vergiften

Das innovative Pflanzenschutzmittel funktioniert nicht wie herkömmliche Insektizide, sondern wie ein Mückenspray. «Unser Bio-Insektenspray tötet keine Insekten, es vertreibt sie für eine gewisse Zeit», erklärt Brück. Der neuartige Insektenspray besteht zur Hauptsache aus Cembratrienol und ist biologisch abbaubar. Die Forscher und Forscherinnen der Synthetischen Biotechnologie liessen sich bei der Entwicklung des Wirkstoffs wie immer von einem in der Natur vorkommenden Organismus inspirieren – dieses Mal von der Tabakpflanze. Diese erzeugt in ihren Blättern Cembratrienol. Mit diesem Molekül schützt sich der Tabak vor Schädlingen. Die Forschenden testeten den Wirkstoff bisher nur gegen Blattläuse – «die können nicht wegrennen und lassen sich deshalb gut auszählen», sagt Leiter Thomas Brück. Die Resultate waren sehr gut. 

Grosse Resonanz

Die TUM gab am 6. Juni 2018 eine Medienmitteilung dazu heraus. Das löste einen Ansturm an Anfragen aus. Das Landwirtschaftsministerium Bayern und sogar das Bundeslandwirtschaftsministerium meldeten sich. Ebenso die grossen Player der Agroindustrie, wie zum Beispiel der europaweit grösste Zuckerproduzent und Nahrungsmittelkonzern Südzucker aus Deutschland, aber auch Agrochemie-Unternehmen aus Holland, Österreich und der Schweiz. 

Gefährdeter Zucker

Besonders gefährdet ist in ganz Nordeuropa die Produktion von Zucker. Denn Zucker wird in Deutschland, England und den Benelux-Staaten primär aus Zuckerrüben hergestellt. «Die Zuckerrübenproduzenten haben grosse Probleme mit Blattläusen, die einen Zuckerrüben gefährdenden Virus übertragen, und möchten schnell mit uns das Thema Pflanzenschutz angehen», sagt Thomas Brück. Als erstes arbeitet die Synthetische Biotechnologie deshalb mit dem Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ) an der Universität Göttingen zusammen, der zentralen Forschungseinrichtung, wenn es um die Entwicklung von Verfahren nachhaltiger Zuckerrübenproduktion in Deutschland geht. Das IfZ, das Landwirtschaftsministerium Bayern und das Bundeslandwirtschaftsministerium werden zusammen mit der TUM den Bio-Insektenspray in die Testung bringen, um dessen Wirkung auf zuckerrübenliebende Blattlausarten zu evaluieren.

Erfolg steigern

«Der Wirkstoff Cembratrienol muss auch speziell formuliert werden», weiss Brück. «Den Wirkstoff in einer öligen Substanz zu formulieren würde die Verweilzeit und damit den Schutz der Pflanze signifikant verbessern.» Bei öligen Substanzen denkt Thomas Brück sofort an «seine» ölproduzierenden Hefen. Diese möchte er für die Verbesserung des Wirkstoffs einsetzen. «Wir haben begonnen, Öle, die mit dem abweisenden Duftstoff versehen sind, in genetisch optimierten Hefen zu produzieren», führt er aus, «so können wir den bereits formulierten Wirkstoff direkt auf die Zuckerrüben, Weizen und auf andere Pflanzen auftragen.» Der Wirkstoff soll auch Weisse Fliegen und Fruchtfliegen vertreiben (die den Obstanbau schädigen) und «könnte damit auch die aromatischen Walliser Aprikosen schützen», fügt er mit einem Augenzwinkern in Richtung Schweiz an. 

Mit einer Ausgründung zur Zulassung

Die Agrochemie-Industrie, die bei Thomas Brück ihr Interesse bekundet hat, gedenkt das innovative Pflanzenschutzmittel ihren eigenen Anwendungen beizufügen und so einen möglichst breiten Schutz zu erzielen. Der Werner Siemens-Stiftungsprofessor überlegt sich, eine Ausgründung (Spin-off) zu machen, die den Stoff herstellt und an die Agroindustrie verkauft. Wünschenswert fände Brück eine breite Anwendung des Pflanzenschutzmittels von der industriellen Landwirtschaft bis zum Privatgarten. Dieses Ziel ist nicht einfach zu erreichen. Die grösste Hürde sind die Regularien der EU für die Zulassung neuer Agrochemikalien. «Es dauert drei bis fünf Jahre, bis ein neuer Wirkstoff zugelassen ist», sagt Brück. In dieser Zeit wird die Synthetische Biotechnologie noch selbst Geld in die Hand nehmen müssen, wie Brück ausführt, um den ersten Erfolg zu einem ganz Grossen werden zu lassen.  

Öl und Folsäure von Algen

Auch bei anderen Projekten können die Forschenden der Synthetischen Biotechnologie im Jahr 2018 Fortschritte vermelden. Die ölproduzierende Mikroalge Microchloropsis sp. hat sich als Leitstamm entpuppt: Sie wächst schneller und bindet mehr Öl als andere Algenarten. Die Alge Dunaliella sp.hingegen ist bei der Produktion von Folat (Folsäure) besser. Sie produziert sehr hohe Folat-Werte, zehnmal so hoch wie jene, die man in folsäurehaltigen Gemüsen wie weissen Bohnen oder Früchten wie Honigmelonen findet. In den nächsten zwei Jahren soll das Verfahren zur Produktion von Folsäure in Form von Lizenzen der Patente vermarktet werden. 

Krebsmittel Taxol

Auch das Projekt der nachhaltigen Herstellung des Krebsmittels Taxol konnte erfolgreich abgeschlossen werden. Es wurde ein neuer Weg gefunden, um den Vorläuferstoff von Taxol herzustellen. Aus diesem Vorläuferstoff können Firmen das begehrte Taxol produzieren. Das Interesse der Pharmaindustrie besteht; das Zulassungsverfahren bei neuen Pharmazeutika ist jedoch äusserst anspruchsvoll und teuer. «Das ist hohe Kür», umschreibt es Thomas Brück, «das können nur grosse Pharmaunternehmen stemmen, denn der Investitionsbedarf beträgt schnell einmal 100 Millionen Euro, bis ein Prozess zertifiziert ist.» Welches Pharmaunternehmen darauf einsteigt, ist noch offen. Um die erarbeitete Technologieplattform zur Taxol-Herstellung weiter auszubauen und zu diversifizieren, wurde nun ein EU-Antrag mit Partnern aus Frankreich, Israel, Italien, Australien, Österreich und Deutschland eingereicht. Darin geht es um die Nutzung der Synthetischen Biologie zur Herstellung neuer Krebstherapeutika, Antibiotika und entzündungshemmender Wirkstoffe für den Pharmabereich.

Bioreaktor aus dem 3D-Drucker

Und last but not least ist Thomas Brück auch seinem Traum des perfekten Bioreaktors näher gekommen, in dem man oben Hefen und Algen hineingeben könnte und unten die gewünschten Produkte wie Öl oder Taxol herauskämen. Anfang 2019 wird ein wichtiger Schritt getan sein – die neuen Laborräume, die mit modernster Infrastruktur ausgestattet sind, können bezogen werden. Dann kann es erst richtig losgehen mit dem 3D-Druck des Bioreaktors. Methodisch wird sich die Synthetische Biotechnologie bei diesem Projekt von der Lebensmittelindustrie inspirieren lassen, und nicht von der Natur. Bereits heute arbeiten Lebensmittelkonzerne wie Nestlé oder Danone an der Konsistenz für breiige Nahrungsmittel aus dem 3D-Drucker. Dieses Verfahren wird die Synthetische Biotechnologie für ihre Zwecke modifizieren. Noch haftet dem Unterfangen etwas Futuristisches an. Zehn Jahre wird es vermutlich schon noch dauern, bis aus 3D-Druckern alles Mögliche wie schöne, neue Nahrungsmittel und ganze Bioreaktoren herauskommen.

Text: Brigitt Blöchlinger
Foto: Andreas Heddergott