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Fulminante Entwicklung
Der Mikrochip der Zukunft soll 100-mal kleiner und 100-mal energiesparender sein. Das haben sich die Forscher des seit 2017 von der Werner Siemens-Stiftung finanzierten Zentrums für Einzelatom-Elektronik und -Photonik auf die Fahne geschrieben. Bereits nach knapp einem Jahr zeigt sich, dass das ehrgeizige Ziel der Forscher keine Utopie ist – im Gegenteil.
Obwohl er sein Leben der Physik verschrieben und dafür schon diverse namhafte Preise erhalten hat, ist ETH-Professor Jürg Leuthold immer wieder verblüfft. «Am einen Tag denken wir, die Grenzen der Physik seien erreicht. Am nächsten entdecken wir, dass noch viel mehr möglich ist.» Es ist noch nicht lange her, da war Leuthold überzeugt, dass die Miniaturisierung von Mikrochips an ihre Grenzen gestossen ist. Denn: Je kleiner die Chips sind, die wir für Handys genauso brauchen wie für Kaffeemaschinen, desto weniger effizient arbeiten sie. Dann machte Leuthold, der seit Jahren auf dem Gebiet der Photonik forscht, eine bahnbrechende Entdeckung: Statt wie bisher durch Elektronen können die Mikrochips der Zukunft auf der Basis einzelner Atome oder Ionen schalten. «Damit funktionieren sie ähnlich wie unser Gehirn», sagt Leuthold. Und sind viel effizienter als herkömmliche Mikrochips. Das Potenzial, das noch ausgeschöpft werden kann, zeigt sich bei Computern derzeit noch als Verlust von Energie in Form von Abwärme. «Unser Gehirn leistet viel mehr», sagt Leuthold, «braucht aber dennoch keine Kühlung.»
Jürg Leuthold ist Professor an der ETH Zürich und Leiter des Instituts für Elektromagnetische Felder. Gemeinsam mit Professor Thomas Schimmel vom Karlsruher Institut für Technologie und Professor Mathieu Luisier von der ETH Zürich hat er sich daran gemacht, die Halbleiterindustrie zu revolutionieren und eine neue Art Mikrochip zu entwickeln, der 100-mal kleiner und 100-mal energiesparender ist – bei mindestens gleich schneller Datenverarbeitung. Die Werner Siemens-Stiftung unterstützt sie dabei – indem sie 2017 den Aufbau des Zentrums für Einzelatom-Elektronik und -Photonik finanziert hat.
Energieeffizienter, als gedacht
2018 hatte Jürg Leuthold wieder einmal Grund zum Staunen. Denn die Untersuchungen der Karlsruher Gruppe verschoben die Grenze dessen, was Forscherkreise als physikalisch machbar erachtet hatten. «Noch vor kurzem dachten wir, dass eine einzelne Schaltung mindestens 40 bis 50 Millivolt Energie braucht», so Leuthold, «bei den Studien genügten unter Laborbedingungen aber bereits 6 Millivolt.» Rechnet man dies hoch, könnten Mikrochips in Zukunft nicht nur 100-mal, sondern bis zu 10 000-mal energieeffizienter sein. Zwar ist es von der Theorie in die Praxis noch ein weiter Weg. Doch die Ergebnisse zeigen, dass es durchaus erlaubt ist, die Mikrochips von morgen dank der Einzelatom-Technologie in völlig neuen Dimensionen zu denken. Beim Projektstart setzten sich die Forscher das Ziel, bis 2021 einen ersten Prozessor mit zwanzig Bauteilen zu entwickeln und bis 2025 komplexere Prozessoren zu bauen. Ein knappes Jahr später erachtet Leuthold diesen ehrgeizigen Fahrplan nach wie vor als realistisch. Man habe nicht nur beim Energieverbrauch gewaltige Fortschritte gemacht, sondern auch bei der Geschwindigkeit. Ausserdem funktioniere die Technologie immer zuverlässiger.
Erster digitaler Fotodetektor
Die Forscher der ETH sind derzeit dabei, die verschiedenen Teile zu bauen, die für den mit einigen Nanometern winzig kleinen Atomschalter nötig sind. Bereits letztes Jahr gelang die Entwicklung eines Modulators, der ein elektrisches in ein optisches (Licht-)Signal verwandelt. Nun haben die Forscher auch dessen Gegenstück, einen Foto-Detektor, vorgestellt. Es handelt sich dabei um den kleinsten je gebauten sowie um den ersten digitalen Fotodetektor überhaupt. Trotzdem gibt sich Leuthold noch nicht zufrieden: «Beim Energieverbrauch können wir noch optimieren.» Als nächstes soll das wohl wichtigste Bauteil für den Atomschalter entwickelt werden: der sogenannte Transistor, eine Art «Ein-/Aus-Schalter». Er soll dereinst zu Milliarden in Mikrochips eingebaut werden – entsprechend wichtig ist seine kleine Grösse und sein geringer Energieverbrauch. Ebenfalls im Verlauf des nächsten Jahres soll das Memory-Bauteil entstehen, mit dem Informationen abgespeichert werden können. Mittlerweile arbeiten zehn auf Elektrotechnik, Materialwissenschaften und Grundlagenphysik spezialisierte Experten und Expertinnen in Zürich und Karlsruhe am Projekt – vier weitere sollen noch dazukommen. Ihre Resultate publizieren die Forscher regelmässig in renommierten Fachzeitschriften. Das zahlt sich aus: Nicht selten kommt es vor, dass angesehene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von weit her anreisen, um sich aus erster Hand zu informieren. «Für uns ist das ein Zeichen dafür, dass unser Projekt immer sichtbarer wird», freut sich Jürg Leuthold.
Text: Andres Eberhard
Fotos: Felix Wey