Ein Geothermie­kraftwerk für jede Gemeinde?

Erfolg für die Werner Siemens-Stiftungsprofessur für geothermische Energie und Geofluide. Der Geophysiker Martin O. Saar von der ETH Zürich leitet neu ein hoch dotiertes Projekt von Innosuisse. Gelingt es ihm, die neuartige Tiefenbohrungsmethode PPGD zur Marktreife zu bringen, könnten künftig Hunderte Geothermiekraftwerke die Schweiz mit sauberer Energie aus dem Erdinneren versorgen.

In der Schweizer Energiestrategie für das Jahr 2050 spielt die Geothermie eine Nebenrolle. Gerade einmal vier Prozent, so prognostizieren heutige Modelle, werde sie dereinst zum Energiemix beitragen. Allerdings behandelten diese Modelle die Geothermie allzu stiefmütterlich, sagt Martin O. Saar, Werner Siemens-Stiftungsprofessor für geothermische Energie und Geofluide an der ETH Zürich. Er ist überzeugt: Berücksichtigt man moderne geothermische Energie-Techniken, wie zum Beispiel sogenannte Advanced Geothermal Systems (AGS), liegt das Potenzial deutlich höher.

In einem neuen Projekt will Professor Saar dieses Potenzial einerseits berechnen und andererseits einen wichtigen Schritt zu seiner Ausschöpfung machen. Gemeinsam mit Forschungs- und Entwicklungskolleginnen und -kollegen aus Wissenschaft und Industrie erhielt er kürzlich den Zuschlag für einen Innosuisse Flagship Grant (AEGIS-CH), der mit 11,4 Millionen Franken dotiert ist. Davon steuern die Industriepartner SwissGeoPower AG, Geotherm SA / Kibag Bauleistungen AG, Basler & Hofmann AG, Amberg Group AG und Sika Schweiz AG ungefähr zwei Drittel als Eigenbeitrag bei. Ein Drittel der Gelder gehen von der Schweizer Bundesagentur für Innovationsförderung an die Forschungspartner ETH Zürich, Paul Scherrer Institut und Ostschweizer Fachhochschule. Das Grossprojekt hat eine Laufdauer von vier Jahren.

Mit Hochspannung in die Tiefe

Ein Grossteil der Forschung wird sich dabei um eine Bohrmethode drehen, die unter dem Fachbegriff «Plasma Pulse Geo Drilling» (PPGD) bekannt ist und an der auch die Kammermann Prozesstechnik GmbH massgeblich beteiligt ist. PPGD könnte es dereinst ermöglichen, an die Erdwärme in ungefähr acht Kilometer Tiefe zu gelangen und sie wirtschaftlich in Strom umzuwandeln oder direkt als Wärme zu nutzen. Heutige Bohrmethoden seien enorm teuer, sagt Martin O. Saar. «Mit ihnen ist die Wärmegewinnung aus solchen Tiefen finanziell nicht attraktiv.»

Bei PPGD wird das Gestein nicht durch mechanischen Druck von oben aufgebrochen, sondern durch eine Art Elektroschock. Ein Generator erzeugt zwischen Elektroden am Bohrkopf innerhalb von nur 500 Nanosekunden Spannungen von bis zu 600'000 Volt. Die Elektropulse erzeugen ein Plasma, also einen Blitz, und sprengen dadurch das Gestein mittels Zugkraft, also von innen her auf. Dies benötigt nur ungefähr ein Viertel der Energie von herkömmlichen Bohrverfahren. Zudem entsteht am Bohrkopf, also an den Elektroden, kein Abrieb, so dass er nicht während des Bohrens ausgetauscht werden muss.

Der Generator muss kleiner werden

Dieses Verfahren möchten Saar und das AEGIS-CH-Team nutzen, um Kraftwerke zu entwickeln, die ähnlich funktionieren wie Erdsondenwärmepumpen für Wohnhäuser. Jeweils zwei Bohrlöcher werden in einer Tiefe von ungefähr acht Kilometern als U-förmige Schlaufe verbunden, sodass ein Kreislauf entsteht. Eine Zirkulationsflüssigkeit nimmt die Wärme des Untergrunds auf und bringt sie an die Oberfläche. Dort gibt sie diese, zum Beispiel als Fernwärme, zur Nutzung ab oder wandelt sie mittels einer Turbine in Strom um. «Als Zirkulationsflüssigkeit möchten wir nicht Wasser, sondern CO2 verwenden», erklärt Martin O. Saar. «Das CO2 wird dabei nicht in die Atmosphäre freigesetzt – und es hat gegenüber Wasser mehrere Vorteile. Unter anderem verfügt es über eine geringere Viskosität, das erhöht die Wärmeproduktionsrate aus der Tiefe.»

Bis es soweit ist, gilt es aber noch einige Herausforderungen zu meistern. Eine davon ist es, überhaupt eine Schlaufenform hinzubekommen. «Dazu müssen wir in der Lage sein, tief in der Erde eine Kurve zu bohren», sagt Saar. Die grösste Hürde sieht er aber beim Elektropulsgenerator, der die enormen Spannungen zwischen den Elektroden erzeugt, die am zu bohrenden Gestein anliegen. «Momentan füllt er einen Schiffscontainer.»

Damit die Bohrtechnik funktioniert, muss der Pulsgenerator aber ins Bohrloch – also verkleinert werden auf einen Durchmesser von ungefähr einem halben Meter. Denn die Elektropulse, erklärt Saar, müssten direkt hinter dem Bohrkopf erzeugt werden. Nur so könne der Anstieg der Hochspannungspulse innerhalb von 500 Nanosekunden erfolgen. Werden die Pulse erst kilometerweit durch das gesamte Bohrloch geleitet, dauert der Pulsanstieg  zu lange. Es käme nicht zur Bildung eines Blitzes, also eines Plasmas, im Gestein.

Geothermie-Kraftwerk für jede Gemeinde?

Saar ist optimistisch, dass die Miniaturisierung des Pulsgenerators gelingen wird. Und dass damit der Weg frei wird für AGS-Geothermie-Kraftwerke, die wirtschaftlich konkurrenzfähig sind. Ein Kraftwerk, das Wärme aus ungefähr acht Kilometern Tiefe holt, würde Wärme- oder Stromenergie für 500 bis 1000 Menschen liefern, schätzt Saar. Und weil die neue Bohrmethode selbst in tiefen, und daher harten Gesteinsschichten in den meisten Fällen anwendbar wäre, liesse sich das System laut ihm fast überall anwenden.

Die AEGIS-CH-Idee ist es deshalb, die Schweiz mit einem Netz von Hunderten solch kleiner Kraftwerke zu überziehen. «Jede Gemeinde könnte ihr eigenes Geothermie-Kraftwerk errichten und Wärme oder Strom produzieren», sagt Saar. Ein solch dezentrales Netz hat nicht nur den Vorteil von kurzen Wegen bei der Strom- oder Wärmeverteilung. Es bietet auch Versorgungssicherheit: Russlands Angriff auf die Ukraine zeigt, wie anfällig eine Abhängigkeit von Grosskraftwerken ist.

Stromengpässe schliessen

Zudem könnte die AGS-Geothermie das ganze Jahr über, rund um die Uhr, nachhaltige Energie liefern, ganz ohne CO2-Emissionen während des Betriebs. Das, sagt Saar, sei besonders wichtig. Denn damit können Stromlücken gefüllt werden, die entstehen, weil andere erneuerbare Energien wie Solar- oder Windenergie in Situationen wie dem gleichzeitigen Auftreten von Dunkelheit und Windflauten keine Leistung erbringen können.

Neben AEGIS-CH, erzählt Saar, habe seine Forschungsgruppe noch andere Eisen im Feuer. Es handelt sich um zahlreiche Projekte im Bereich Geothermische Energie und Geofluide, die eines gemein haben: Sie alle sollen dazu beitragen, die Energieversorgung der Menschheit nachhaltiger zu machen und gleichzeitig die globale Erderwärmung einzudämmen.

Man darf gespannt sein auf die Fortschritte. Sicher ist: Gelingen die Unterfangen, hat die Werner Siemens-Stiftung mit der zehnjährigen Finanzierung der Professur für Geothermischen Energie und Geofluide an der ETH Zürich den Grundstein dafür gelegt, dass die Erdwärme in der weltweiten Energieversorgung dereinst nicht mehr eine Nebenrolle spielt, sondern eine Hauptrolle.

 

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