Spin-Ketten aus Kohlenstoff
Das Projekt CarboQuant an der Empa erforscht quantenphysikalische Phänomene mittels Nanostrukturen aus Kohlenstoff. Nun ist dem Team ein Durchbruch gelungen: Es hat eines der wichtigsten theoretischen Quantenmodelle exakt nachgebaut und getestet.
Die Quantenphysik verspricht revolutionäre neue Technologien – beispielsweise Quantencomputer, die dereinst vielleicht Berechnungen vornehmen können, an welchen selbst heutige Supercomputer scheitern. Doch das Verhalten und die Wechselwirkungen der Elementarteilchen und Atome, welche die Quantenphysik untersucht, sind komplex, fragil und erscheinen unserem Verstand oft widersprüchlich.
Ein Beispiel ist die Überlagerung von zwei Zuständen. In herkömmlichen Computern kann die kleinste Informationseinheit, das Bit, nur zwei Zustände einnehmen: ausgeschaltet oder angeschaltet, also 0 oder 1. Die sogenannten Qubits hingegen, mit denen der Quantencomputer rechnet, können nicht nur die Zustände 0 oder 1 aufweisen, sondern auch ein beliebiges Verhältnis davon – und damit theoretisch unendlich viele Zustände. Deshalb lassen sich mit Quantencomputern nicht nur eine Rechenoperation nach der anderen durchführen, sondern mehrere gleichzeitig.
In der Physik gibt es viele Systeme und Ansätze, die zum Bau von Qubits geeignet sein könnten. Im Rahmen des von der Werner Siemens-Stiftung unterstützten Projekts CarboQuant beschäftigen sich Forschende um Roman Fasel und Oliver Gröning am «nanotech@surfaces Laboratory» der Empa in Dübendorf (Schweiz) mit einer dieser Möglichkeiten: Sie entwickeln Kohlenstoff-Nanomaterialien, sogenannte Nanographene, mit atomarer Präzision und untersuchen auf ihnen sogenannte Spin-Effekte.
Ein Baukasten für Quantenspins
Der Spin ist eine grundlegende quantenmechanische Eigenschaft von geladenen Teilchen wie Elektronen oder Protonen. Es handelt sich um eine Art magnetisches Drehmoment, das vereinfacht gesagt nach «oben» (Zustand 1) oder nach «unten» (Zustand 0) zeigen kann. Sind zwei oder mehrere Spins verknüpft, beeinflussen sich ihre Zustände gegenseitig: Ändert man die Ausrichtung eines Spins, verändern sich auch die anderen.
Diese Wechselwirkungen sind enorm komplex. Es existieren zwar mathematische Modelle, mit denen sie sich beschreiben lassen. Doch zum einen werden diese Gleichungen schon bei relativ einfachen Verkettungen praktisch unlösbar. Und zum anderen laufen quantenmechanischen Phänomene auf subatomarer Ebene ab – entsprechend schwierig ist es, solche Spin-Verknüpfungen überhaupt real werden zu lassen, also zu bauen.
Die CarboQuant-Forschenden haben diese anspruchsvolle Synthetisierung mit ihrem Kohlenstoff-Nanomaterial-Ansatz in den letzten 15 Jahren perfektioniert. «Wir haben eine Art modularen Baukasten für Quantenspins entwickelt», sagt Oliver Gröning. «Damit sind wir in der Lage, basierend auf den gewünschten Spin-Eigenschaften vorherzusagen, wie ein Molekül aussehen muss – und es dann herzustellen.» Und nicht nur das, ergänzt Roman Fasel: «Inzwischen bietet unser erweitertes Baukastensystem auch die Möglichkeit, Spins gezielt ein- und auszuschalten.»
Lehrbuch-Modell nachgebaut
Kürzlich hat die Forschungsgruppe im renommierten Fachmagazin «Nature Nanotechnology» (*) einen Durchbruch publiziert. Es gelang dem Team, das sogenannte eindimensionale alternierende Heisenberg-Modell, eine Spin-Kette aus den Lehrbüchern für Quantenmechanik, herzustellen und ihre Eigenschaften präzise zu vermessen. Es handelt sich um eine lineare Kette aus Spins, in der jeder Spin mit einem seiner beiden Nachbar-Spins eine starke Wechselwirkung eingeht, mit dem anderen eine schwache.
Für das Heisenberg-Modell nutzten die CarboQuant-Forschenden, gemeinsam mit Kollegen aus Braga (Portugal) und Dresden (Deutschland), das sogenannte Clar’s Goblet. Dieses Molekül, dessen Form an eine Sanduhr erinnert, besteht aus elf Kohlenstoff-Ringen. Seinen Namen erhielt das Molekül zu Ehren des deutschen Chemikers Erich Clar. Er sagte vor über 50 Jahren voraus, dass diese zweidimensionale Kohlenstoff-Verbindung an jedem Ende ein ungepaartes Elektron mit zugehörigem Spin beinhalte. Allerdings gelang es Clar damals nicht, das Molekül tatsächlich herzustellen. Dabei blieb es – bis es vor fünf Jahren dem Team um Roman Fasel und Oliver Gröning gelang, Clar’s Goblet zu erzeugen und seine Spin-Eigenschaften nachzuweisen.
Verknüpft und vermessen
Für die aktuelle Publikation gingen die Forschenden noch einen Schritt weiter. Sie verknüpften die Goblets auf einer Goldoberfläche zu Ketten. Das führt zu exakt den Spin-Wechselwirkungen des Heisenberg-Modells: Die beiden Spins innerhalb eines Moleküls sind schwach miteinander verknüpft, die Spins zwischen zwei Nachbar-Molekülen hingegen gehen eine starke Wechselwirkung ein.
Mithilfe eines Rastertunnelmikroskops gelang es dem CarboQuant-Team, genau definierte Spin-Ketten unterschiedlicher Länge herzustellen. Um sie zu untersuchen, schalteten sie einzelne Spins gezielt ein und aus oder «drehten» sie von einem Zustand in den anderen. «Ganz so wie man die Strömung in einem Windkanal an verschiedenen Punkten untersucht, messen wir die magnetischen Eigenschaften solcher Ketten an verschiedenen Stellen», erklärt Oliver Gröning. Die Studie bestätigte auf diese Weise verschiedene theoretische Vorhersagen. So bilden sich am Ende von längeren Ketten freie Elektron-Spin-Zustände aus, bei kürzeren Ketten hingegen nicht.
Die Studie öffne neue Möglichkeiten in der Quantenforschung, sagt Roman Fasel. «Wir haben gezeigt, dass sich theoretische Modelle der Quantenphysik mit Nanographenen realisieren lassen und ihre Vorhersagen somit experimentell überprüfbar sind. Nanographene mit anderen Spin-Konfigurationen lassen sich zu anderen Arten von Ketten oder zu komplexeren Systemen verknüpfen.»
Zwei topmoderne Geräte
Und die Forschenden denken bereits weiter: «Vereinfacht gesagt, können wir derzeit mit unseren Instrumenten einen einzelnen Spin an einer bestimmten Stelle vollständig von «unten» nach «oben» schalten», sagt Oliver Gröning. «Wir möchten jedoch Spins nicht nur vollständig umdrehen, sondern auch «halb» umschalten.» Erst dadurch gelangt der Spin in jenen merkwürdigen Quantenzustand, in dem er gleichzeitig nach «oben» und «unten» zeigt. Das würde die Tür öffnen, um Quantenoperationen durchzuführen.
Ermöglichen könnten dies zwei neue, hochmoderne Rastertunnelmikroskope, die von der Werner Siemens-Stiftung mitfinanziert werden und momentan im «nanotech@surfaces Laboratory» aufgebaut und eingerichtet werden. Sie arbeiten mit extrem starken Magnetfeldern, mit Radiofrequenzsignalen und unter tiefen Temperaturen. Genau jene Voraussetzungen, die nötig sind, um die magnetischen Eigenschaften der Kohlenstoff-Nanomaterialien noch präziser zu manipulieren und zu messen.