Die Zukunft der Krebsbehandlung
Das Werner Siemens Imaging Center treibt die Entwicklung von bildgebenden Verfahren in der Krebs-Diagnostik voran. Mit künstlicher Intelligenz trainierte Software soll künftig die riesigen Datenmengen von PET- und MRI-Scannern auswerten – und so ganz neue Einblicke in Tumorgewebe erlauben.
Bösartige Tumore sind komplexe Gebilde. Sie bestehen nicht aus einheitlichem Gewebe, sondern aus zum Teil sehr unterschiedlichen Tumorarealen und Zellstrukturen, die sich erst noch im Verlauf der Zeit stetig verändern. Zudem ist jede Metastase eines solchen Tumors anders. Diese Heterogenität ist eine Herausforderung bei der Bekämpfung von vielen Krebserkrankungen. Sie führt sehr oft dazu, dass Therapien nicht wirken – oder dass ein Tumor gegen eine Therapie resistent wird, weil er nicht ganz ausgemerzt werden kann.
Mit heutigen Methoden ist es schwierig, Tumore in ihrer ganzen Verschiedenartigkeit zu charakterisieren. Meist versuchen Ärztinnen oder Forscher dies, indem sie eine Biopsie nehmen und untersuchen. «Aber mit einer Biopsie entnimmt man nur ein ganz kleines Stück des Tumors», sagt Bernd Pichler, der Leiter des Werner Siemens Imaging Center (WSIC) in Tübingen. Ausserdem sind Biopsien invasive, zuweilen gefährliche Eingriffe, man kann sie nicht täglich oder wöchentlich durchführen.
Pichler und seine Forschungsteams am WSIC wollen neue, nicht invasive Diagnosemethoden entwickeln, welche mithelfen, die Heterogenität von Tumoren besser zu erfassen. Dabei haben sie stetige Fortschritte erzielt und im vergangenen Jahr einige viel beachtete Publikationen veröffentlicht. In einem Projekt gelang es ihnen, bei einem Darmkrebs mittels eines innovativen Ansatzes lebendes, totes, nekrotisches und fibrotisches Gewebe voneinander zu unterscheiden.
Intelligente Datenauswertung
Dazu untersuchten die Forschenden die Tumoren mit einem kombinierten PET-MRI-Scanner. Um die riesigen Datenmengen auszuwerten, die solche Untersuchungen liefern, entwickelten sie eine Machine-Learning-Software. Diese Software fütterten sie in einem ersten Schritt mit den Daten von rund 50 Mäusen, die an einem Darmkrebs litten, der als Modell für die menschliche Erkrankung gilt. Anhand der Mausdaten lernte das Programm, die verschiedenen Gewebe zu unterscheiden.
In einem zweiten Schritt testeten sie das Erkennungsprogramm an Leber-
metastasen von einem halben Dutzend Darmkrebs-Patienten. «Wir konnten zeigen, dass sich der Algorithmus sehr gut auf den Menschen übertragen lässt», sagt Bernd Pichler. «Und das ist nur ein erstes Beispiel.» Denn die Technik eröffne ungeahnte Möglichkeiten in der Tumordiagnostik. «Man kann damit viele andere Tumoreigenschaften untersuchen und differenzieren.»
In einem nächsten Schritt wollen die Tübinger Forschenden beispielsweise verschiedene Zellstadien unterscheiden. Manche Tumorzellen etwa befinden sich in einem sogenannten seneszenten Zustand. Sie haben aufgehört, sich zu teilen, leben aber weiter – und können aus diesem «Schlaf» heraus das Wachstum anderer Tumorzellen ankurbeln. Deshalb ist es wichtig, solche Zellen aufzuspüren und im richtigen Moment mit Medikamenten zu zerstören.
Auch die Immuneigenschaften unterschiedlicher Krebszellen oder Kennzeichen der Zellzwischenräume, der extrazellulären Matrix, könnten in Zukunft mit Machine-Learning-gestützten bildgebenden Analysemethoden charakterisiert werden. Entscheidend dafür ist die Entwicklung sogenannter Tracer. Diese radioaktiv markierten Moleküle werden in den lebenden Organismus gebracht und dort – je nach Art des Moleküls – von bestimmten Zellen aufgenommen oder für bestimmte Stoffwechselvorgänge benutzt. Mittels bildgebender Methoden lassen sie sich im Gewebe nachweisen. «Auf diese Weise können wir das Mikroumfeld von Tumoren besser verstehen», sagt Bernd Pichler.
Personalisierte Krebsbekämpfung
Das wird auch neue Therapiemöglichkeiten eröffnen. Eine Vision hat das Team um Bernd Pichler ebenfalls letztes Jahr in einem Review-Artikel in der hoch angesehenen Fachzeitschrift «Nature Reviews Cancer» publiziert. In Zukunft sollen Forschende mittels bildgebender Methoden die unterschiedlichsten Moleküle, Vorgänge oder Eigenschaften in Tumorgeweben nachweisen – und daraus personalisierte Therapien ableiten. «Wir könnten zum Beispiel untersuchen, wie weit der pH-Wert im Tumor angepasst werden muss, damit eine bestimmte Immuntherapie funktioniert», sagt Pichler, der 2023 zudem mit dem Gold Medal Award, der höchsten Auszeichnung der World Molecular Imaging Society, geehrt wurde.
Bis solche Visionen Realität werden, wird es noch eine Weile dauern. Aber die verschiedenen Forschungsgruppen am Werner Siemens Imaging Center arbeiten mit Hochdruck an diversen Nachweismethoden, welche die Krebsbekämpfung revolutionieren werden.