Erntezeit in der Steinzeit
Das Projekt Paläobiotechnologie hat im vergangenen Jahr einen Meilenstein erreicht. Die Forschenden fanden bis zu 100 000 Jahre alte mikrobielle Wirkstoffe und liessen sie «auferstehen». Damit ist klar, dass die kühne Idee funktioniert.
Forschen ist ein bisschen wie Gärtnern. Es braucht Geduld, vor dem Ernten kommt das Säen. Diese Aufbauarbeit hat beim Projekt Paläobiotechnologie in Jena ungefähr drei Jahre gedauert. Nun darf sich das Team um Chemiker Pierre Stallforth und Archäogenetikerin Christina Warinner auf die Erntezeit freuen. Im abgelaufenen Jahr wiesen die Forschenden nämlich nach, dass ihr Vorhaben funktioniert: Ihnen gelang es erstmals überhaupt, aus dem Zahnstein von Frühmenschen Naturstoffe wieder herzustellen, die vor 100 000 Jahren von Bakterien produziert worden waren.
Für die Studie, die im renommierten Fachmagazin «Science» publiziert wurde, untersuchte das Team den Zahnstein von Neandertalern, die vor ungefähr 100 000 bis 40 000 Jahren lebten, und von Menschen, die vor 30 000 bis 150 Jahren lebten. Mit eigens dafür entwickelten Methoden fanden sie darin eine Vielzahl von Erbgutfragmenten, setzten sie – ähnlich wie die Teile eines Puzzles – zusammen zu sehr langen DNA-Abschnitten und rekonstruierten so die Genome zahlreicher Bakterienarten.
Neues Forschungsfeld mit Relevanz
Aus einem besonders gut erhaltenen Genom eines Grünen Schwefelbakteriums rekonstruierten sie einen sogenannten Biosynthese-Gencluster – einen Bauplan für Enzyme, die Naturstoffe oder kleine Moleküle produzieren. Sie bauten diese Gene mit modernsten biotechnologischen Methoden in lebende Bakterien ein. Tatsächlich bildeten diese in der Folge funktionierende Enzyme, die zwei bisher unbekannte mikrobielle Naturstoffe produzierten. Stoffe, die vor Zehntausenden von Jahren einem damals lebenden Bakterium wahrscheinlich bei der Regulierung der Photosynthese dienten.
Die Publikation ist ein Meilenstein für die Arbeiten von Warinner und Stallforth. «Wir zeigen damit, dass unsere Idee tatsächlich umsetzbar ist: Wir können uralte mikrobielle Wirkstoffe finden und neu herstellen», sagt Christina Warinner. Von der Forschungsgemeinschaft wurde die Studie enorm positiv aufgenommen. «Die Forschungskolleginnen und -kollegen beachteten unsere Publikation nicht nur stark», sagt Warinner, «sie attestierten unserem Ansatz auch eine grosse Relevanz.»
Damit ein solches interdisziplinäres Projekt zustande kommt, müssen viele Rädchen ineinandergreifen. Ein Highlight war für Pierre Stallforth denn auch die Zusammenarbeit der Forschungsgruppen. Es sei spannend und herausfordernd gewesen, eine gemeinsame Sprache zu finden zwischen Archäologinnen, Chemikern und Bio-Informatikerinnen, sagt er.
Proben testen im Schnellzugstempo
Nun kann das Paläobiotech-Team die nächsten Schritte angehen; man könnte sagen: die Ernte einfahren. Möglich machen dies laut Stallforth vor allem zwei Entwicklungen: Zum einen haben die Bioinformatiker im Projekt ein Screening-Tool namens nf-core/funcscan entwickelt, das eine rasche Analyse von Naturstoff-Gensequenzen erlaubt. Zum anderen hat das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena neu eine weltweit einzigartige Automatisierungsplattform aufgebaut, um standardisiert und mit hohem Durchsatz neu gefundene Moleküle zu testen – zum Beispiel bezüglich ihrer antibiotischen oder antimykotischen Wirkung.
Die Geräte dieser Robotikplattform können nicht nur die ganze Nacht durcharbeiten, sondern auch Mikrotiter-Platten mit 96 oder gar 384 Vertiefungen in einem einzigen Arbeitsschritt befüllen und auslesen. «Dadurch können wir 100- bis 1000-mal mehr Proben testen als bisher», sagt Stallforth. Zudem unterlaufen den Robotern im Gegensatz zu Menschen keine Fehler oder Unregelmässigkeiten beim Pipettieren. «Wir können in Zukunft aus dem Vollen schöpfen», bilanziert Stallforth.
Das nächste Ziel besteht darin, möglichst viele Proben zu untersuchen – und zu verstehen, wozu bestimmte Naturstoffe einst in ihrer natürlichen Umgebung dienten. «Je mehr wir darüber wissen, welche Rolle ein Stoff hatte, desto mehr neue Anwendungen werden wir finden», ist Christina Warinner überzeugt. Man darf gespannt sein, welche neuen Stoffe das Paläobiotech-Team in Zukunft aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen wird.