Osterinsel, Rapa nui

Zahnstein auf der ­Osterinsel

Es zeigt sich immer mehr, welche Möglichkeiten die Erforschung des mikrobiellen Erbguts im Zahnstein von Frühmenschen bietet. Ein Team um Christina Warinner hat für eine kürzlich publizierte Studie diese Methode genutzt, um die Geschichte der Besiedelung von Inseln in Südostasien zu untersuchen.

Die Region Ozeanien, ein Mosaik aus Inseln im Pazifik, wurde in mehreren Wellen besiedelt. Über Jahrtausende hinweg erreichten Völker aus Südostasien immer neue Inselgruppen, oft in kurzen Zeitspannen. Üblicherweise untersuchen Forscher menschliches Erbgut aus Knochen oder Zähnen, um solche Migrationen zu rekonstruieren. Doch in den Tropen, wo Feuchtigkeit und Wärme die DNA schnell zersetzen, sind die Erfolgsquoten dieser Methode oft gering.

Ein Forschungsteam um die Archäogenetikerin Christina Warinner wendet deshalb eine innovative Methode an, um die Geschichte der Besiedlung Ozeaniens zu untersuchen: den Vergleich des Erbguts von Bakterien und anderen Biomolekülen, die im Zahnstein – also den verkalkten Zahnbelägen – von archäologischen Skelettfunden eingeschlossen sind. Für die im Fachmagazin «Nature Communications» publizierte Studie (1) sequenzierten die Forschenden das orale Mikrobiom von 102 Menschen, die während eines Zeitraums von 3000 Jahren auf elf Pazifikinseln lebten – zum Beispiel auf Fidschi, Vanuatu oder der Osterinsel.

Frühere Untersuchungen zur Besiedelung der ozeanischen und südostasiatischen Inseln hätten überraschende Muster zutage gefördert, erzählt Warinner, Professorin an der Harvard University und Co-Leiterin des Projekts Paläobiotechnologie, das von der Werner Siemens-Stiftung gefördert wird. «Die genetischen Untersuchungen zeigen, dass spätere Ankömmlinge die Erstbesiedler auf den Inseln weitgehend ersetzten. Gleichzeitig aber legen linguistische Analysen nahe, dass sie die Sprachen der frühesten Bewohner übernahmen.»

Gut konserviertes Erbgut

Zu diesem Zusammenspiel zwischen genetischer und kultureller Vererbung könnte das orale Mikrobiom neue Erkenntnisse liefern. «Das Mikrobiom geht weit über reine Vererbung hinaus», erklärt Warinner. «Es gibt uns Hinweise auf kulturelle Interaktionen – auf soziale Beziehungen, auf Familienbanden, auf die Pflege von Angehörigen.» Deshalb habe sie in dieser Studie untersuchen wollen, ob sich mithilfe von Zahnsteinuntersuchungen überhaupt derartige Spuren finden lassen.

Tatsächlich ergab die Untersuchung mehrere interessante Resultate. Ein zentrales Ergebnis: Zahnstein konserviert die DNA archäologischer Funde überraschend gut, deutlich besser als Knochen. Aus rund 70 Prozent der Zahnstein-Proben extrahierten die Forschenden hochwertige genetische Daten. Demgegenüber lieferten in früheren Studien mit Knochen-DNA aus derselben Region – viele aus denselben Individuen – nur knapp drei Prozent aller Proben fünf oder mehr Prozent körpereigenes Erbgut. Die Stabilität der Zahnstein-DNA selbst in den feucht-warmen Tropen ist erstaunlich. «Sie unterstreicht das Potenzial des Zahnsteins als archäologische Informationsquelle», sagt Christina Warinner.

Das orale Mikrobiom der Frühmenschen in Ozeanien unterscheidet sich leicht von jenem, das bislang auf dem Festland in Europa, Asien und Afrika gefunden wurde. «Es ist nicht völlig anders, aber wir haben einige Bakterienarten entdeckt, die bislang nicht beschrieben sind oder heute anderswo nicht mehr vorkommen», sagt Warinner. Spannend war der Vergleich von Bakterienstämmen, also den genetischen Varianten einzelner Arten. «Auf den einzelnen Inseln ähnelten sich die Stämme verschiedener Menschen stark», erklärt Warinner.

Unbekannte Arten im Visier

Dieses Muster kann auftreten, wenn die Bakterien eine hohe Zirkulationsrate innerhalb einer Population aufweisen. Das ergebe für Mundbakterien auf einer kleinen Insel Sinn, sagt Warinner. «Getränke wie Kava spielen bei sozialen Zusammenkünften und Zeremonien im Pazifik eine wichtige Rolle. Ihre Zubereitung und ihr Verzehr können zur Verbreitung von Mundbakterien führen.» Solche Praktiken könnten dazu beigetragen haben, dass sich auf jeder Insel ein eigenes mikrobielles Muster entwickeln konnte.

Die Forschenden machten verschiedene Bakterienarten aus, anhand derer sich die Besiedelung der Inseln nachverfolgen lassen könnte. «Aber dazu braucht es mehr Arbeit», sagt Warinner. Denn manche dieser Arten sind noch kaum untersucht. «Einer der Gründe dafür ist, dass sie nicht mit Krankheiten verbunden sind, sondern mit einer gesunden Mundflora.» In einer Nachfolgestudie untersucht ihr Team nun diese Mikrobenarten, indem es ihr Erbgut von Grund auf neu rekonstruiert.

Das Ziel einer zweiten Nachfolgestudie ist es, einen weltweiten Überblick über das derzeitige Wissen zum oralen Mikrobiom zu geben. «Wir tragen dafür sämtliche Daten zusammen, die bisher publiziert wurden, das ist ein enormer Datensatz», sagt Warinner. Es handle sich um archäologische Funde – unter anderem jene der Ozeanien-Studie – aber auch Zahnstein-Genome von heutigen Menschen – mitsamt Daten, welche Warinner und ihre Forschungsgruppe bei indigenen Stämmen in Kamerun gesammelt haben.

Sorgfältiger Umgang mit Daten

Aus dieser Fleissarbeit entstand auch eine zweite kürzlich erschienene Publikation (2), wie Warinner erzählt. «Als wir die Daten zusammenzutragen begannen, merkten wir, dass sie sehr uneinheitlich in Datenbanken abgelegt werden – das erschwert es, sie für weitere Forschung zu verwenden.» Die Forschenden lancierten deshalb verschiedene Initiativen, um standardisierte Prozesse und Checklisten zu erstellen, die dabei helfen, bessere und komplettere Daten hochzuladen.

«Darauf wurden die Herausgeber des Magazins «Nature» aufmerksam», erzählt Warinner. «Sie luden uns ein, in einem Artikel das Problem zu beschreiben und Lösungen vorzuschlagen.» Eines der Probleme ist laut der Expertin schlicht, dass Daten nachlässig erfasst werden – es werden beispielsweise falsche Sequenziermethoden angegeben. «Solche Fehler können oft identifiziert und behoben werden, auch wenn das mit Aufwand verbunden ist», sagt Warinner.

Folgenschwerer ist die zweite Problematik. «Viele Forscher laden nicht alle ihre Daten hoch», sagt Warinner. Weil Mikroben allgegenwärtig sind, findet sich bei der Untersuchung von Mensch- oder Tierskeletten stets auch mikrobielle DNA. Es kann sogar sein, dass nur 10 Prozent einer Probe menschliche DNA sind, aber 90 Prozent von Mikroben stammen. «Ist jemand einzig am Mensch- oder Tier-Erbgut interessiert, hält er dieses Mikroben-Erbgut oft für irrelevant und wirft es einfach weg», sagt Warinner.

Genau das sollte verhindert werden. Denn das Erbgut dieser Mikroorganismen ist für die Forschung enorm wertvoll – mit ihm lässt sich, wie mit einer Zeitmaschine, weit zurück in die Vergangenheit schauen. Das beweisen nicht zuletzt die wegweisenden Untersuchungen des WSS-Projekts Paläobiotechnologie von Christina Warinner und ihren Kolleginnen und Kollegen.

> Studie 1
> Studie 2