Die Archäologin des Unsichtbaren
Nicht Überreste von Siedlungen oder alten Werkzeugen faszinieren die Archäologin Christina Warinner, sondern Bakterien. Sie will zeigen, wie bedeutend Mikroben für die Evolution des Menschen waren und warum wir sie mehr schätzen sollten.
Christina Warinner hat zuhause zwei Katzen und einen Hund. «Und Millionen anderer Haustiere», erzählt sie lachend. Zumindest betrachtet sie die unzähligen Bakterien, die unseren Körper besiedeln, ein bisschen wie Haustiere, seit sie sich in ihrer Forschung so intensiv mit ihnen beschäftigt. «Wir schätzen zu wenig, was diese Bakterien für uns tun», sagt die Archäologin. «Natürlich gibt es Mikroben, die uns krank machen. Aber seit Zehntausenden von Jahren helfen uns Bakterien auch, gesund zu bleiben.» Die Medizin hat erst begonnen, dieses «Mikrobiom» – also die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den menschlichen Körper besiedeln – zu erforschen. Warinner hilft mit, dessen Evolution zu klären. Während die Archäologie bisher vor allem Überreste von Siedlungen und Knochen ausgegraben hat, ist sie fasziniert von prähistorischen Mikroben – sie nennt es die «Archäologie des Unsichtbaren». Bei Vorträgen ruft sie das Publikum bisweilen scherzhaft dazu auf, auf das Zähneputzen zu verzichten, damit auch zukünftige Forschende noch Zahnstein untersuchen können.
Unbeirrbar und innovativ
Dass die Erforschung prähistorischen Zahnsteins ihr beruflicher Schwerpunkt werden würde, war nicht absehbar. Aufgewachsen in Kansas in den USA, wurde sie von ihren Eltern vor allem zum Sport ermuntert. Christina Warinner zog es aber mehr zu Büchern über wissenschaftliche Themen. Ihr breites Interesse liess sie lange über das passende Studienfach nachdenken. Sie entschied sich für die Schwerpunkte Mikrobiologie und Archäologie und fand ihre Berufung darin, Naturwissenschaften und Archäologie zu verbinden. Nach dem Doktorat an der Harvard University wurde Christina Warinner Postdoktorandin an der Universität Zürich und untersuchte als weltweit erste Forscherin das Mikrobiom im Mund von Menschen aus der Frühzeit. Sie analysierte dazu vor allem Reste von Erbgut im Zahnstein. «In meinem akademischen Umfeld hielten mich viele für verrückt: Da wirst du keine DNA finden, die ist längst zerfallen!», erinnert sie sich. Warinner liess sich nicht beirren und bewies das Gegenteil. Anhand von DNA- und Eiweissspuren im Mikrobiom konnte sie rekonstruieren, wann und wo die Menschen begannen, Milchwirtschaft zu betreiben.
Neugierig und enthusiastisch
Weitere offene Fragen gibt es genug: «Wir verstehen noch viel zu wenig, was das Mikrobiom tut», so Warinner. Klar ist, dass das Mikrobiom heutiger Menschen in Europa und Nordamerika im Vergleich zu nicht industrialisierten Gesellschaften eine deutlich geringere Diversität aufweist. Das hat vermutlich mit der veränderten Ernährung, Hygiene und der Verbreitung von Antibiotika zu tun. Christina Warinner will deshalb mit Hilfe von Archäologie und modernster Technologie herausfinden, wie das Mikrobiom des Menschen vor der Industrialisierung ausgesehen hat. Für ihre Arbeit pendelt sie zwischen zwei Universitäten und Kontinenten – sie ist Professorin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und an der Harvard University in den USA. In Jena hat sie mit Pierre Stallforth einen Wesensverwandten gefunden: «Wir sind beide enthusiastisch und bereit, in der Forschung neue Wege zu gehen.»
Text: Adrian Ritter
Fotos: Felix Wey