Blitze schleudern im Untergrund
Die Erdkruste ist ein gigantischer Wärmespeicher. Die Krux ist, dass sich dieses nie versiegende Energiereservoir schlecht anzapfen lässt. Ein Elektropuls-Bohrer, den der Geophysiker Martin O. Saar entwickelt hat, könnte die Lösung sein, um an die Wärme in der Tiefe zu gelangen und sie wirtschaftlich in Strom umzuwandeln.
Wärmepumpen und Erdwärmesonden, mit denen Wohnhäuser beheizt werden, arbeiten mit relativ geringen Temperaturunterschieden. Es reicht schon, wenn die Sondenflüssigkeit eine Erdwärme von 10 Grad aufnimmt, die in weniger als 100 Metern Tiefe zu finden ist. Zur Erzeugung von Strom sind jedoch höhere Temperaturen nötig, die meist erst kilometertief greifbar werden, ausser in vulkanischen Regionen wie Island.
An diesem Problem wird seit Jahrzehnten geforscht, denn nur in wenigen Gebieten der Welt ist der Untergrund so durchlässig, dass aus einem Reservoir einfach heisses Wasser zur Energiegewinnung nach oben gepumpt werden könnte. Wo der Untergrund undurchlässig ist, muss das Gestein zuerst aufgesprengt werden. Bei dieser petrothermalen Geothermie in 5 bis 8 Kilometern Tiefe wären dazu künstliche, schwer kontrollierbare Erdbeben nötig. Zudem ist das Wasser oftmals salzgesättigt – beim Abkühlen kann es zu Ausfällungen kommen. Das verstopft Gesteinsporen und Pumpen. Nicht zuletzt nutzen sich die Bohrer bei solch tiefen Bohrungen so stark ab, dass die Bohrköpfe täglich ersetzt werden müssen.
Elektroschock fürs Gestein
Professor Martin O. Saar arbeitet deshalb mit seiner Forschungsgruppe an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) und Partnern aus der akademischen und der industriellen Forschung auch an der Entwicklung neuer Bohrmethoden. Eine vielversprechende Methode, die bereits getestet wird, ist das Elektropuls- oder Plasma-Bohren, das die Forschenden «Plasma Pulse Geo Drilling» (PPGD) nennen. Beim PPGD werden kurze Elektroschocks von weniger als 500 Nanosekunden mit einer riesigen Spannung von bis zu 600 000 Volt erzeugt. Dabei bewirken zwei am Gestein anliegende Elektroden wie bei einem Blitz einen Plasmazustand (4. Aggregatzustand) im Gestein. Die schlagartige Wärmeausdehnung und der Plasmadruck brechen das Gestein mechanisch auf. Das herkömmliche Bohrprinzip wird dabei auf den Kopf gestellt, denn der Druck wird nicht von oben nach unten ausgeübt, sondern eine Zugkraft sprengt das Gestein von unten nach oben. Der grosse Gewinn dabei: Wirkt auf das Gestein eine Zugkraft ein, bedarf es nur eines Viertels der Energie zum Aufbrechen.
Generator verkleinern
Eine Herausforderung ist derzeit die Grösse des Pulsgenerators, der die 600 000 Volt erzeugt. Noch ist er so gross, dass er einen Schiffscontainer als Faradayschen Käfig benötigt. Saars Ziel ist es, den Generator bis auf einen Durchmesser von 50 Zentimetern zu verkleinern, damit er mehrere Kilometer tief in ein enges Bohrloch versenkt werden kann. Der Pulsgenerator muss in das Bohrloch hinein, damit die Elektropulse direkt am Bohrkopf erzeugt werden können. Würden die Pulse durch kilometerlange Kabel geleitet, würde der Anstieg der Hochspannungspulse zu langsam geschehen, sodass es zum Kurzschluss zwischen den Elektroden direkt in der Bohr-Spülflüssigkeit käme. Nur «Hochgeschwindigkeitsblitze» gehen wie gewünscht bogenförmig durch das Gestein, wodurch es nach oben aufgebrochen wird.
Seitlich bohren
Die Elektropuls-Bohrungen testet Martin O. Saar bereits mit dem Geoenergie-Kraftwerke-Bauer «SwissGeoPower», finanziell unterstützt von einem Innosuisse Grant der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung. «SwissGeoPower» hat das PPGD in den letzten Jahren massgebend weiterentwickelt. Auch die «Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie» in Deutschland ist an den Tests beteiligt. «Dieses Verfahren wäre ein Durchbruch, weil das Bohren viel billiger wäre und geothermische Energie aus besonders grossen Tiefen von mehr als 4 Kilometern endlich konkurrenzfähig würde», sagt Martin O. Saar.
Ausserdem würde möglich, was traditionelle rotierende Bohrer nicht können: Hohlräume im Untergrund schaffen, die grösser als das Bohrloch darüber sind. Der Elektropuls-Bohrer kann nämlich auch seitlich bohren, und sogar gemäss komplexen geometrischen Anordnungen, und das präzise in bis zu 10 Kilometern Tiefe. Damit liessen sich bessere Verbindungen zwischen einem Bohrloch und einem Hitzereservoir herstellen. Wirtschaftlich attraktiv und ganz ohne Fracking könnten so Fluide und Energie aus extrem tiefem Untergrund entnommen oder darin gespeichert werden. Das wäre nicht nur für die Geothermie nützlich, sondern auch für die Energie- und CO2-Speicherung, die Grundwassernutzung, die Öl- und Gasförderung und für nukleare Endlager.
Grosse Unterstützung
Die Zeichen stehen gut: Im Oktober 2021 hat Martin O. Saar als leitender Forscher eines Verbunds von Forschungsgruppen der ETH Zürich, des Paul Scherrer Instituts und der Fachhochschule OST und privaten Unternehmen eine erneute Projektunterstützung in Form eines Innosuisse Flagship Grants im Wert von knapp 12 Millionen Schweizer Franken erhalten. Damit kann die Verkleinerung des Hochspannungspulsgenerators mit vereinten Kräften angegangen werden.
Text: Sabine Witt
Illustration: bigfish AG