Professor Martin Saar von der ETH Zürich
Professor Martin Saar von der ETH Zürich

Genauer Blick ins Gestein

Seit zehn Jahren unterstützt die Werner Siemens-­Stiftung (WSS) die Geothermie- und Geofluidforschung von Professor Martin Saar von der ETH Zürich. Mittlerweile sind aus einigen seiner Entwicklungen Industriekooperationen entstanden. Und in einem neu bewilligten Folgeprojekt will er geologische Reservoire quasi ins Labor holen.

Wer das Erdinnere untersuchen will, muss sich etwas einfallen lassen. Denn die Erdkruste ist noch unzugänglicher als die Tiefsee oder das Weltall. Man kann weder in sie eintauchen noch in einem Raumschiff hinfliegen. Geophysiker wie Martin Saar, Werner Siemens-Stiftungsprofessor für Geothermische Energie und Geofluide (GEG) an der ETH Zürich, greifen deshalb auf andere, oft indirekte und aufwändige Methoden zurück, um mehr über den Zustand und die Vorgänge im Untergrund zu erfahren.

Einen Eindruck davon bekommt, wer die Laborräumlichkeiten der Forschungsgruppe besucht. Auf einem Labortisch liegen einige gut fünf Zentimeter lange, zylinderförmige Granitstücke. Diese Miniaturen dienen der Untersuchung von Vorgängen in tiefen Gesteinsschichten. Martin Saar zeigt auf eine Anlage mit diversen Schläuchen und einem Stahlzylinder. «Darin können wir die Granitkerne auf bis zu 200 Grad erhitzen und einem Porenwasserdruck von bis zu 1000 bar aussetzen.» Das entspricht den Verhältnissen in rund zehn Kilometern Tiefe. Durch winzige Poren, Spalten oder Risse im Granitkern pressen die Forschenden Fluide – also Flüssigkeiten oder Gase – und messen Fliessgeschwindigkeiten oder Veränderungen im Gestein.

Weitere Messmöglichkeiten bieten die 3D-Drucker, die an der Fensterfront des Labors stehen. Mit ihnen drucken die Forschenden Kunststoffelemente mitsamt haarfeinen Rissen, welche Klüfte im Gestein simulieren. Durch sie fliesst ein Fluid, dem die Forschenden fluoreszierende Partikel zusetzen. So können sie das Flussverhalten unter den jeweiligen Bedingungen beobachten.

Beratung für Geothermieprojekte

Manche Untersuchungen sind eher Grundlagenforschung, andere sehr angewandt. Denn die GEG-Forschungsgruppe von Martin Saar hat sich auch zum Ziel gesetzt, die Tiefengeothermie voranzubringen, welche die Menschheit mit nachhaltiger Energie aus dem Erdinnern versorgen könnte. Bis heute ist es eine Herausforderung, geothermische Reservoire zu nutzen. Da die Energie aus mehreren Kilometern Tiefe gewonnen wird, sind die Bohrkosten enorm. Und weil der Untergrund derart schwierig zu vermessen ist, stossen die Initianten von Tiefengeothermie-Projekten bei Probebohrungen allzu oft auf ungeeignete Gesteinsschichten.

Er stelle aus der geothermischen Industrie und aus der Politik ein immer stärkeres Interesse an wissenschaftlicher Beratung fest, sagt Martin Saar. Darauf reagiert er nun, indem er ein Konsortium für die Geothermie in der Schweiz aufbaut. Leiten wird dieses Projekt Dieter Werthmüller, ein erfahrener Geophysiker, den Saar kürzlich nach Zürich geholt hat. Die Idee ist es, mit der Unterstützung von interessierten Firmen und Behörden die wissenschaftlichen Grundlagen für Geothermieprojekte in der Schweiz zu legen – zum Beispiel geeignete Untergrundkarten.

Zudem bietet das Konsortium Beratung für konkrete Projekte an. Mehrere bisherige Projekte in der Schweiz seien daran gescheitert, dass man schlicht nicht die erwarteten Gesteinsschichten angetroffen habe, sagt Saar. «Wir möchten dazu beitragen, dass die Bohrungen künftiger Geothermieprojekte weniger aufs Geratewohl erfolgen.»

Dazu reichen Laborexperimente nicht, Feldstudien sind ebenso wichtig. Eine wichtige geophysikalische Methode, auf die Saars GEG-Gruppe spezialisiert ist, heisst Magnetotellurik. Dabei wird die dreidimensionale elektrische Leitfähigkeit des Untergrundes bestimmt, indem sekundäre elektromagnetische Felder an der Erdoberfläche gemessen werden, die im Untergrund durch den Sonnenwind erzeugt werden. Die elektrische Leitfähigkeit des Untergrundes hängt auch von der Durchlässigkeit des Untergrundes für Fluide ab. «Die Magnetotellurik kann uns dabei helfen, potenzielle Standorte für hydrothermale Geothermiekraftwerke und die geologische CO2-Speicherung zu bestimmen, da all diese Prozesse auf ein durchlässiges Reservoir im tiefen Untergrund angewiesen sind», erklärt Martin Saar. Dieter Werthmüller sei ein Experte auf dem Gebiet der Magnetotellurik, was diesem Forschungsfeld in seiner Gruppe weitere Dynamik verleihen werde.

Die beiden bekanntesten tiefengeothermischen Verfahren sind die hydrothermale Geothermie und die petrothermale Geothermie. Erstere nutzt durchlässige Gesteinsschichten in Tiefen von bis zu ungefähr 5000 Metern, in denen Wasser natürlicherweise zirkuliert. Letztere erschliesst Erdwärme aus kompaktem, undurchlässigem Gestein in 5000 bis 7000 Metern Tiefe. Daneben gibt es neuere Verfahren, die von Saars Forschungsgruppe stark mitgeprägt sind. Die CPG-Methode (CO2-Plume Geothermal) wurde vor 15 Jahren gar von Martin Saar miterfunden. Die Idee ist es, das Klimagas CO2 in ein geeignetes Reservoir zweieinhalb bis fünf Kilometer unter dem Boden zu pressen, wo es sich auf mindestens 100 Grad Celsius erwärmt.

Ein Konsortium und ein Grossprojekt

Diese Wärme lässt sich mit einem Kreislauf nutzen: Das erhitzte CO2 wird an die Oberfläche gebracht, treibt dort Turbinen zur Stromproduktion an, wird abgekühlt – und wieder im unterirdischen Lager versenkt, so dass letztlich alles anfänglich injizierte CO2 permanent im tiefen Untergrund gespeichert wird. CO2 ist viel weniger zähflüssig als Wasser und dehnt sich bei der Erwärmung viel stärker aus. Das führt zu einer grösseren Wärmeproduktionsrate und soll es ermöglichen, auch aus weniger durchlässigen Gesteinsschichten mit relativ geringen Temperaturen wirtschaftlich Energie oder Strom zu gewinnen.

Martin Saar hat vor zwei Jahren das CPG-Konsortium gegründet, welches die Machbarkeit dieses Ansatzes untersucht. Dem von Projektmanager Jasper de Reus aus Saars GEG-Gruppe geleiteten Konsortium gehören Firmen wie Shell, Petrobras, Holcim und Ad Terra Energy an – und neu werde es auch vom Schweizer Bundesamt für Energie unterstützt, sagt Saar. In einer ersten Phase geht es darum, weltweit mögliche Reservoire auf ihre Eignung zu untersuchen. Nach weiteren Abklärungen wird dann ein gross angelegtes Demonstrationsprojekt durchgeführt.

Ein anderes neueres Verfahren nennt sich AGS (Advanced Geothermal Systems). Dabei handelt es sich um eine Art tief in den Untergrund reichenden Wärmetauscher. In einem geschlossenen Kreislauf zirkuliert ein Fluid, das von unterirdischem Gestein erhitzt wird. Saar und sein Team untersuchen das Potenzial dieser Methode in einem Grossprojekt namens AEGIS-CH, das von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse) als Flagship-Projekt finanziert wird. Bei AGS werden zwei Bohrlöcher in fünf bis zehn Kilometern Tiefe mit mehreren U-förmigen Schlaufen verbunden. Erdwärme wird mithilfe von CO2 als Zirkulationsflüssigkeit aus dem Gestein herausgeholt. Ein solches Kraftwerk könnte Energie für 500 bis 1000 Menschen liefern – und wäre vielerorts erstellbar, da es weitgehend Geologie-unabhängig ist.

Neue Bohrmethoden

Eines der grössten Probleme bei Projekten im tiefen Untergrund sind die Bohrkosten. «Überspitzt gesagt bohren wir noch immer wie in der Steinzeit – mit Reibung», sagt Saar. Wer mit herkömmlichen Methoden kilometertief ins Gestein eindringen will, braucht viel Zeit und Geld, denn die Bohrköpfe nutzen sich am harten Untergrund rasch ab. Im AEGIS-CH-Projekt untersucht Saar eine von ihm mitentwickelte Bohrmethode namens «Plasma-Pulse Geo Drilling» (PPGD). Dabei wird das Gestein nicht mechanisch aufgebrochen, sondern mit einer Art Elektroschock. Die Elektropulse sprengen das Gestein mittels Zugkraft, von unten nach oben. Das Verfahren benötigt nur ungefähr ein Viertel der Energie herkömmlicher Bohrverfahren und wäre so um einiges kostengünstiger.

Die Erforschung einer weiteren innovativen Bohrmethode will Saar neu aufnehmen und gemeinsam mit ETH-Zürich-Professor Alexander Barnes und Jasmin Schönzart, Postdoktorandin in Saars GEG-Gruppe entwickeln. «Dabei geht es um den Einsatz von Mikrowellen», erzählt er. Die Idee: Ein Gyrotron – ein enorm leistungsfähiger Mikrowellengenerator, wie er bei Kernfusionsreaktoren zum Einsatz kommt – schickt gebündelte Hoch­energiewellen in die Tiefe. «Das Gestein wird auf mehrere Tausend Grad Celsius erhitzt und verdampft», sagt Saar.

All diese Projekte treibt Saar unter anderem dank einer zehnjährigen Förderung der Werner Siemens-Stiftung voran. Die Förderung läuft nun aus, doch im vergangenen Jahr erhielt Saar von der WSS die Zusage für eine neue Förderphase, die für die nächsten zehn Jahre mit insgesamt 15 Millionen Schweizer Franken dotiert ist. Mit einem höchst innovativen Ansatz soll das Projekt noch einmal ganz neue Einsichten in die komplexen Prozesse im Erdinneren ermöglichen.

Um aufzuzeigen, worum es geht, führt Saar seinen Besuch nun in einen zweiten Laborraum, in dem sich der gruppeneigene Computertomographie-Scanner (CT) befindet. Er erlaubt es, sogenannte reaktive Transportexperimente durchzuführen – also die chemische Wechselwirkung zwischen porösem Gestein und durchfliessendem Medium zu untersuchen. Gesteinsproben wie die Mini-Zylinder aus Granit werden geothermischen Drücken und Temperaturen ausgesetzt und von einem Fluid durchströmt. Im CT können die Forschenden dann in Echtzeit beobachten, wo sich Gestein auflöst, wo Mineralien ausgefällt werden und wo sich deswegen Fliesswege verschliessen.

Ein massgefertigtes MRI-Gerät

Mittels dieses Verfahrens untersucht beispielsweise die Gruppe von Maren Brehme, Oberassistentin in Saars Team, welche Auswirkungen der Durchfluss von Fluiden im Verlauf der Jahre auf den Betrieb von geothermischen Kraftwerken hat. Brehme ist darauf spezialisiert, solche Probleme zu entdecken und zu lösen. In Indonesien, erzählt Saar, habe die Gruppe konkret aufgezeigt, wie sich die Produktionsrate von geothermischen Anlagen wieder erhöhen lasse.

Einen Nachteil haben CT-Scanner. Ihre Funktionsweise beruht auf Röntgenstrahlen, die je nach Dichte einer Struktur unterschiedlich stark abgeschwächt werden. «Deshalb können wir vor allem sehen, wie sich das Gestein verändert», erklärt Saar. «Unterschiede zwischen Gasen und wässrigen Lösungen oder deren Fliessverhalten können wir kaum sichtbar machen.»

Dies möchte der Forscher in der neuen WSS-Förderphase ändern – mit einem weltweit wohl einzigartigen, spezialangefertigten Magnetresonanztomographen (MRI). Anders als CT-Scanner eignen sich MRI-Geräte zur bildlichen Darstellung von verschiedenen Fluiden. Vereinfacht gesagt, regt das MRI durch ein Magnetfeld bestimmte Atomkerne zur Schwingung an. Das Signal dieser Schwingungen lässt sich nutzen, um verschiedene Materialien voneinander zu unterscheiden.

Meist untersuchen MRI-Geräte Wasserstoffatome (H-1). Es gibt aber Geräte, die mehrere verschiedene Elemente messen, zum Beispiel Kohlenstoff-, Fluor-, Natrium- oder Xenon-Isotope. Ein solches multinukleares MRI-Gerät will Saar entwickeln und bauen lassen. «Die einzelnen Komponenten, die es dazu braucht, existieren alle – aber nicht in der Kombination, die wir benötigen», sagt er.

Der Forscher schätzt, dass Planung, Ausschreibung und Bau des Geräts ungefähr zwei Jahre dauern werden. Bis dann soll auch die zweite Komponente bereitstehen, die für die MRI-Experimente nötig ist: ein 3D-Drucker, der in der Lage ist, Keramik-Nachbildungen von Gesteinen mitsamt unterirdischen Lagerstätten, Reservoirs, Verwerfungen und Bohrlöchern zu drucken. Diese geologischen Formationen im Miniaturformat werden backsteingross sein – und trotzdem alle wichtigen geologischen Schichten und Strukturen enthalten: Moderne 3D-Drucker sind in der Lage, Schichten zu drucken, die so dünn sind wie ein Hundertstel eines Millimeters.

Mikroben produzieren Methan

Saar wird das MRI auch zur Erforschung einer weiteren Idee nutzen: die unterirdische Methan-Produktion. Dazu werden nachhaltig produzierter, «grüner» Wasserstoff und CO2 gemeinsam mit ganz bestimmten Mikroorganismen in den Untergrund gebracht. Die winzigen Lebewesen nutzen die dort vorhandene Wärme, um die beiden Moleküle – CO2-neutral – in Methan umzuwandeln. Das Gas wird bei Bedarf an die Erdoberfläche geholt und als Energieressource in existierender Infrastruktur genutzt.

Diese sogenannte Methanogenese sei ein komplexer Vorgang, gerade im tiefen Untergrund, die zuerst im Labor untersucht werden sollte, sagt Saar. Dafür sei das MRI perfekt geeignet. «Wir können beobachten, wohin CO2, Wasserstoff, Mikroben und das produzierte Methan wandern und wo sie sich ansammeln. Aufgrund dieser Informationen können wir die Platzierung von Injektions- und Produktionsbohrungen optimieren.»

Die Daten solcher Experimente werden in Computer-Simulationen einfliessen, die im GEG-Labor ebenfalls unverzichtbar sind. Ein Spezialist auf diesem Gebiet ist Oberassistent Xiang-Zhao Kong. Für seine Arbeit versprechen die neuen Daten aus den MRI-Untersuchungen – 3D-Temperaturfelder, Druckfelder und Geschwindigkeitsvektoren der verschiedenen Fluide und Mikroben – enorm wertvoll zu werden.

Die Bedeutung der neuen MRI-Anlage ist aber breiter. So ist eine Zusammenarbeit mit dem Centre for Origin and Prevalence of Life (COPL) an der ETH Zürich geplant, das vom Astronomen und Nobelpreisträger Didier Queloz geleitet wird. Forschende des COPL sind daran interessiert, wie sich Kohlenstoff und Mikroben im Gestein ansiedeln und wie Letztere sich dort vermehren. Im MRI lässt sich dies experimentell simulieren, was Hinweise auf die Entstehung des Lebens auf der Erde oder auf anderen Planeten geben wird.

Nicht zuletzt gibt es bereits Interessenten aus der Kompressor- und Turbinenentwicklung, die das neuartige MRI-Gerät für ihre Untersuchungen nutzen möchten. Das ist ganz in Martin Saars Sinn, wie er sagt: «Solch ein massgefertigtes Gerät ist so teuer, dass man es praktisch rund um die Uhr auslasten sollte.» Die Investition, da ist er sich sicher, wird sich lohnen – weit über die Geowissenschaften hinaus.