Geophysiker Martin O. Saar
Der Geophysiker Martin O. Saar darf zufrieden sein: Das Interesse an seinen innovativen Geothermieprojekten ist enorm.

Mit Zugkraft zur Erdwärme

Erfolgreich abgeschlossene Projekte, neues Grossprojekt, Verhandlungen mit Industriepartnern: Der Geophysiker Martin O. Saar, Werner Siemens-Stiftungsprofessor für geothermische Energie und Geofluide an der ETH Zürich, blickt zurück auf ein intensives Jahr.

An erneuerbaren Energien führt kein Weg vorbei. Das ist seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und seit dem Hitzesommer 2022 auch dem letzten Zweifler klar. Für Professor Martin O. Saar von der ETH Zürich und sein Fachgebiet, die Tiefengeothermie, bedeutet dies verstärkte Aufmerksamkeit. Denn im Erdinneren warten gewaltige Energiemengen darauf, genutzt zu werden.

Wie gross das Potenzial der Geothermie ist, untersuchen Saar und sein Team in einem neuen Grossprojekt, das von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung unterstützt wird. Der Innosuisse Flagship Grant AEGIS-CH ist mit 11,4 Millionen Franken für eine Laufzeit von vier Jahren dotiert.

Martin O. Saar hat den Antrag mit Kolleginnen und Kollegen aus Industrie und Forschung geschrieben und leitet das Grossprojekt, an dem auch diverse Forschungs- und Industriepartner beteiligt sind. Der Zuschlag habe ihn sehr gefreut, sagt Saar – und der Grant sei wichtig, um die Möglichkeiten der Tiefengeothermie auszuschöpfen.

Das Projekt-Konsortium will eine von Saar miterfundene Bohrmethode weiterentwickeln, die unter dem Fachbegriff «Plasma Pulse Geo Drilling» (PPGD) bekannt ist. Beim PPGD wird das Gestein nicht mechanisch aufgebrochen, sondern mit einer Art Elektroschock.

Gemeindeeigene Geothermiewerke?

Die Elektropulse sprengen das Gestein mittels Zugkraft, von unten nach oben. Das innovative Verfahren benötigt nur ungefähr ein Viertel der Energie herkömmlicher Bohrverfahren. Damit würde es um einiges kostengünstiger, an die Erdwärme in ungefähr 5 bis 10 Kilometer Tiefe zu gelangen.

Mit diesem Verfahren, hofft Saar, liessen sich Kraftwerke entwickeln, die ähnlich funktionieren wie heutige Wärmepumpen für Wohnhäuser: Jeweils zwei Bohrlöcher werden in der Tiefe verbunden, um eine U-förmige Schlaufe zu bilden. In dem Kreislauf wird Erdwärme mithilfe von CO2 als Zirkulationsflüssigkeit aus dem Gestein herausgeholt. Die Wärme wird entweder direkt genutzt, oder in einem Kraftwerk in Elektrizität umgewandelt und ins Stromnetz eingespeist.

Ein Kraftwerk, das Wärme aus 5 bis 10 Kilometern Tiefe holt, könnte Energie für 500 bis 1000 Menschen liefern, schätzt Saar. Solche Kraftwerke liessen sich – unabhängig von der Geologie – nahezu überall in der Schweiz erstellen, zum Beispiel von Gemeinden.

Wirtschaftliche CO2 -Lagerung

Saars zweiter Arbeitsschwerpunkt in diesem Jahr war das Zusammenstellen eines Konsortiums, um eine von ihm entwickelte Methode namens CPG (CO2-Plume Geothermal) entscheidend voranzubringen. Kurz gesagt, soll CPG das Abscheiden und Einlagern von CO2 im Boden wirtschaftlich machen. Wird das Klimagas nämlich zweieinhalb bis drei Kilometer unter dem Boden gelagert, erwärmt es sich auf ungefähr 100 Grad Celsius. «Diese Wärme wollen wir nutzen», erklärt Saar. Und zwar mit einem Kreislauf: Das erhitzte CO2 wird an die Oberfläche gebracht, treibt dort Turbinen an – und wird dann wieder im unterirdischen Lager versenkt, so dass letztlich alles CO2 permanent gespeichert wird.

Hotspots im Kanton Aargau

Weil CO2 viel weniger zähflüssig ist als Wasser, sei der Vorgang zwei bis drei Mal energieeffizienter als bei allen bisherigen realisierten oder anvisierten Geothermiekraftwerken, sagt Saar. Er stehe in Kontakt mit mehreren renommierten Firmen. «Sie sind begeistert – aber wir brauchen ein Pilotprojekt, um zu zeigen, dass die Methode funktioniert.» Genau das hat er mit dem neuen Konsortium vor. Saar hofft, dass die Arbeiten für den Pilotversuch 2023 beginnen können.

Abgeschlossen hat sein Team dieses Jahr die Untersuchungen zur Wärmestromdichte im Kanton Aargau. Dort existieren einige Hotspots, wo die Wärmestromdichte höher ist als im Landesdurchschnitt. Die Forschenden haben dort die Wärmeleistung im Untergrund am Computer in neuartiger Form simuliert – und damit den Grundstein gelegt, um solche Untergrundkarten für die ganze Schweiz anzulegen. Das wiederum wird den Behörden helfen, Geothermieprojekte an geeigneten Orten zu planen und saubere Energie aus dem Erdinneren zu gewinnen.