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Schimmelpilze bekämpfen mit Keanu Reeves
Das Team von Pierre Stallforth hat aus einem Bakterium einen Wirkstoff isoliert, der gegen einen im Gemüsebau gefürchteten Schimmelpilz wirkt. Die Substanz wirkt derart tödlich, dass die Forschenden sie nach dem Action-Schauspieler Keanu Reeves benannten.
Die Grauschimmelfäule Botrytis cinerea ist einer der berüchtigtsten Pflanzenschädlinge überhaupt. Er befällt mehr als 200 verschiedene Obst- und Gemüsearten und verursacht Jahr für Jahr enorme Ernteeinbussen – besonders im Erdbeeranbau und im Weinbau. Nun haben Forschende des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) in Jena mit Unterstützung der Werner Siemens-Stiftung einen Wirkstoff entdeckt, der äusserst effizient gegen diesen Pilzerreger wirkt.
Der Wirkstoff stammt aus einem Bakterium der Gattung Pseudomonas. Solche Bakterien stehen auf dem Speiseplan von Amöben. Zur Abwehr haben viele Pseudomonaden deshalb hoch wirksame Amöbengifte entwickelt. Das Team um Studienleiter Pierre Stallforth arbeitet schon länger mit Pseudomonaden – und fand in früheren Untersuchungen ein Pseudomonas-Amöbengift namens Jessenipeptin. «Doch als wir in den Proben das Gen für Jessenipeptin ausschalteten, wirkte es immer noch gegen Amöben», sagt Sebastian Götze, Erstautor der Studie. «Das Bakterium musste also noch weitere Amöbengifte enthalten.»
Tödlich wie John Wick
Tatsächlich entdeckten die Forschenden in der Folge die Biosynthese-Gene von drei weiteren Wirkstoffen. Weil diese Naturstoffe derart effizient wirken, nannten sie sie Keanumycin A, B und C – nach dem Schauspieler Keanu Reeves, bekannt aus Filmen wie «Matrix» oder «John Wick». «Keanu Reeves ist in seinen Rollen ebenfalls sehr tödlich», sagt Götze mit einem Augenzwinkern.
Den Forschenden gelang es, eines der Keanumycine zu isolieren und dessen Wirkung an einer ganzen Reihe von Organismen zu testen. Nicht nur an Amöben, sondern auch an verschiedenen Pilz-Erregern. «Amöben sind evolutionär verwandt mit Pilzen und weisen einige Ähnlichkeiten mit ihnen auf, beispielsweise in den Zellmembrankomponenten», erklärt Pierre Stallforth. Tatsächlich erwies sich Keanumycin als enorm wirksam gegen die Grauschimmelfäule. Bei einem Test auf Hortensien reichte nur schon die überstehende Flüssigkeit von Pseudomonas-Kulturen, die keine Bakterien mehr enthielt, um Blattschäden durch die Graufäule stark zu reduzieren.
Keanumycin ist biologisch abbaubar. Es könnte sich deshalb als umweltfreundliche Alternative zu chemischen Pflanzenschutzmitteln eignen, zumal Pilzerreger immer öfter Resistenzen gegen die bestehenden Mittel entwickeln. «Wir stehen am Anfang erster Erwägungen, eine solche Anwendung gemeinsam mit Kooperationspartnern voranzutreiben», sagen Pierre Stallforth und Sebastian Götze.
Neues Mittel gegen Pilzerkrankungen?
Wichtig sind neue Anti-Pilzmittel aber nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in der Medizin. Denn viele menschliche Krankheiten werden durch Pilze ausgelöst. Umso interessanter ist es, dass Keanumycin offenbar auch solche Erreger in Schach halten kann. In ihrer Studie, die kürzlich im Fachmagazin Journal of the American Chemical Society publiziert wurde, zeigen die Forschenden aus Jena, dass der Wirkstoff unter anderem Candida auris stark hemmt. Bei diesem Hefepilz handelt es sich um einen Krankenhaus-Keim, der Blutvergiftungen verursachen kann. Er wurde erst 2009 beschrieben, hat sich aber rasch in viele Länder ausgebreitet. Besorgniserregend ist, dass Candida auris oft resistent ist gegen verschiedene antimykotische Medikamente.
Ob aus dem neu entdeckten Wirkstoff je ein Arzneimittel wird, steht allerdings in den Sternen. Zwar zeigten bisherige Tests, dass Keanumycin für menschliche Zellen relativ gut verträglich ist. Aber es müsste viele – und teure – präklinische und klinische Studien erfolgreich durchlaufen, bevor es allenfalls als Medikament zugelassen würde.
Innovative Wirkstoffsuche
Stallforths Forschungsgruppe ist nicht direkt in der Medikamentenentwicklung tätig. Ihr primäres Ziel ist es, mit selbst entwickelten, innovativen Konzepten neue bioaktive Verbindungen zu finden. Zum einen, indem sie die ökologischen Beziehungen zwischen Organismen betrachtet – wie jene zwischen räuberischen Amöben und den Bakterien, die sie erbeuten. Zum anderen, indem sie in der Vergangenheit nach Wirkstoffen forschen: In dem von der Werner Siemens-Stiftung finanzierten Projekt «Paläobiotechnologie» sucht Stallforth in Zusammenarbeit mit der Archäogenetikerin Christina Warinner im Zahnstein von Frühmenschen nach antibiotischen Wirkstoffen.
Bei beiden Strategien ist es wichtig, interdisziplinär zu arbeiten. Und beide würden voneinander profitieren, sagt Stallforth. «Wir verwenden zum Beispiel die bioinformatische Expertise, die wir im Paläobiotechnologie-Projekt etabliert haben, um antimykotisch wirkende Verbindungen in Pseudomonaden zu suchen.» Auf der anderen Seite hilft das Wissen, wie man in lebenden Pseudomonaden Naturstoffe findet, auch bei der Suche in den Überresten solcher Bakterien in prähistorischem Zahnstein.