Der Traum von einem Breitbandmedikament gegen Viren könnte bald Realität werden.

«Forschung, die für Mensch und Umwelt bedeutsam ist»

Ein Materialwissenschaftler, der nach einem «Antivirotikum» forscht – das muss ein vielseitig interessierter Mensch sein. In der Tat: Francesco Stellacci von der EPFL denkt global und wird seine Forschungsergebnisse allen Interessierten zur Verfügung stellen. Damit will er Forschungsgruppen weltweit anregen, «nach vielleicht noch besseren Lösungen zu suchen».

Was ist Ihre Motivation, als Materialwissenschaftler medizinische Forschung zu betreiben?

Francesco Stellacci: Ich will Forschung betreiben, die für Mensch und Umwelt von Bedeutung ist. Wichtig ist mir zum Beispiel, Lösungen für die Probleme in ärmeren Ländern zu finden. Weil Gesundheitsprobleme dort zentral sind, habe ich meinen Fokus immer mehr auf die medizinische Forschung gelegt. Ich habe unter anderem Zusatzstoffe entdeckt, die Impfstoffe gegen Viren bis zu zwei Monate lang temperaturstabil halten – ohne Kühlschrank oder dergleichen. Das macht es möglich, Impfprogramme in Entwicklungsländern deutlich kostengünstiger zu realisieren. Bis zu 80 Prozent der Kosten entfallen nämlich auf die Kühlung der Impfstoffe. Ich habe meine Entdeckung absichtlich nicht patentieren lassen, damit sie möglichst breit zum Einsatz kommen kann. 


Und jetzt wollen Sie ein Breitbandmedikament gegen Viren entwickeln. 

Ja, ein solches Medikament ist dringend nötig. Wenn jedes Medikament nur gegen ein einzelnes Virus wirkt, ist die Behandlung teuer und nicht für alle Menschen zugänglich. Ein antivirales Medikament mit Breitbandwirkung wäre viel effektiver und würde weniger Kosten für das Gesundheitswesen verursachen, was gerade für Entwicklungsländer zentral ist.

Die Hoffnung besteht, dass ein Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus gefunden wird, bevor Ihr Medikament vorliegt. Lohnt es sich da, den Fokus auf die Wirksamkeit bei Covid-19 zu legen?

Ich hoffe sehr, dass wir möglichst bald einen Impfstoff gegen Covid-19 haben werden. Aber sicher ist das nicht. Ein Medikament gegen eine Klasse von Krankheiten zu finden ist grundsätzlich einfacher, als für jede Krankheit einen eigenen Impfstoff zu entwickeln. Und wenn wir über ein breit gegen Viren wirkendes Medikament verfügen, kann dies die Herstellung eines Impfstoffes erleichtern. 


Inwiefern?

Ein Medikament heilt, ein Impfstoff schützt präventiv. Um die Wirksamkeit eines Impfstoffs nachzuweisen, müssen sich Menschen der Gefahr einer Infektion aussetzen. Wenn kein Medikament vorhanden ist und der Impfstoff nicht wirkt, setzt man Menschen mit solchen Tests der Lebensgefahr aus. Wenn aber ein Medikament gegen das entsprechende Virus verfügbar ist, ist ein Impfstofftest viel weniger heikel. Aber wie gesagt, wenn wir schon bald einen Impfstoff gegen Covid-19 haben, umso besser. Dass er bei allen Menschen perfekt wirken wird, dafür gibt es dann aber immer noch keine Garantie. Ein Medikament ist also auf jeden Fall hilfreich. Zumal es auch gegen Viren möglicher nächster Pandemien und gegen zahlreiche weitere Viren wie etwa das Influenzavirus wirken kann. Eine erheblich bessere Behandlung von Grippekranken, das wäre fantastisch.


Sie werden Ihre Forschungsergebnisse für alle Interessierten verfügbar machen. Was erhoffen Sie sich davon?

Wir wollen damit andere Forschungsgruppen anregen, nach vielleicht noch besseren Lösungen zu suchen. Vielleicht findet jemand später einen noch eleganteren Weg, unsere Zuckermoleküle zu imitieren oder Druck auf Viren aufzubauen. Ich will zeigen, dass das Prinzip funktioniert. Dann werden sich andere Forschende ermutigt fühlen, ebenfalls damit zu arbeiten. So funktioniert die Wissenschaft. Und genau so soll es sein.


Wenn Sie Erfolg haben mit diesem Projekt, welches Vorhaben möchten Sie als nächstes anpacken?

Es gibt ein Thema, das mich schon seit Jahren beschäftigt und auch betrübt. Inbesondere in ärmeren Ländern sterben Kinder oft an infektiösen Durchfallerkrankungen. Man spricht von bis zu einer halben Million Todesfällen pro Jahr. In einem nächsten Projekt möchte ich versuchen, eine Therapie dagegen zu finden. Neben der Medizin interessieren mich ökologische Fragestellungen. Ich würde gerne dazu beitragen, eine nachhaltige Form von Plastik zu entwickeln, die unsere Umwelt nicht belastet. Es gibt noch viele Herausforderungen. Ich bin motiviert, einige davon mit meiner Forschung anzugehen.

Interview: Adrian Ritter
Fotos: Felix Wey