Ein Spray gegen viele Viren
Das Team um Materialwissenschaftler Francesco Stellacci entwickelte letztes Jahr an der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) seine Breitband-Wirkstoffe gegen Viren zu einem inhalierbaren Pulver weiter. Das bedeutet: Das gegen viele Arten von Viren gleichzeitig wirkende Medikament kann dereinst unkompliziert verabreicht werden.
Im Supramolecular Nano Materials and Interfaces Laboratory von Projektleiter Francesco Stellacci an der EPFL konzentriert man sich derzeit auf die Entwicklung eines Medikaments gegen Virenarten, die Atemwegserkrankungen auslösen – wie das weit verbreitete Respiratory Syncytial Virus (RSV). In den meisten Fällen erholen sich die RSV-Infizierten nach ein paar Tagen von selbst, doch bei Säuglingen und älteren Personen kann es zu schweren Verläufen kommen.
Das von Francesco Stellacci designte innovative antivirale Medikament ist aber nicht nur gegen RSV wirksam. Seine breite Wirksamkeit wurde im Jahr 2023 in zwei grossen Tierstudien bestätigt: eine an Hamstern gegen SARS-CoV-2 und eine an Frettchen gegen Influenza.
Wirksam auch als spraybares Pulver
Das neu entwickelte antivirale Medikament gehört in die Klasse der sogenannten Eintrittshemmer, die den Viren den Zutritt zu Körperzellen verwehren und so deren Vermehrung und Ausbreitung verhindern – im Fall von RSV: dass das Virus nicht über Nase oder Mund in die Atemwege gelangt und dann die Lunge schädigt. Das antivirale Medikament der Stellacci-Forschungsgruppe ist ein Breitband-Eintrittshemmer, dessen «Rückgrat» mit der chemischen Verbindung MUS kombiniert wurde. MUS ist in der Lage, eine Vielzahl von Viren zu neutralisieren. Es inaktiviert die Viren unwiderruflich, indem es über einen ausgeklügelten Bindungsmechanismus bestimmte Proteinteile des Virus besetzt.
Aufgrund der positiven Ergebnisse der präklinischen Studien unterzogen die Forschenden den Wirkstoff einem Trocknungsprozess und machten daraus ein inhalierbares Pulver, das mithilfe eines gängigen Trockenpulver-Inhalators verabreicht wurde. Es zeigte sich, dass auch dieses wirksam war und von den Versuchstieren gut vertragen wurde. So wird man das Antivirotikum dereinst ganz einfach inhalieren können.
Alles muss stimmen
«Die Entwicklung von Medikamenten braucht sehr viel Zeit», sagt Stellacci. Nicht nur die Wirksamkeit der antiviralen Substanz, sondern auch deren Toxizität (Giftigkeit) wird streng geprüft. Ein Auftragsforschungsinstitut in Holland untersucht derzeit, wie viele Viren nach der Medikamentengabe in der Lunge der Versuchstiere überlebt haben – je weniger, desto besser – und ob die chemische Verbindung die Lunge geschädigt hat oder nicht. «Die Viren selbst schädigen die Lunge, und es darf natürlich nicht sein, dass unser Medikament das auch noch tut», so Stellacci. In der ersten präklinischen Studie mit Mäusen gab es «keine beobachtbaren Nebeneffekte», bilanziert Stellacci. Er ist optimistisch, dass das auch bei den anderen präklinischen Studien der Fall sein wird und sein innovatives antivirales Medikament gut verträglich ist. «Die Studiendaten sind bis jetzt sehr gut.»
Für die In-vivo-Studien zur Toxizität der chemischen Verbindung müssen die Moleküle in grossen (Industrie-)Mengen gemäss den weltweit herrschenden Vorschriften der Good Manufacturing Practice (GMP) produziert werden können. Derzeit arbeiten die Expertinnen und Experten an der EPFL zusammen mit Francesco Stellacci die nötigen Dokumentationen und Verträge aus.
Im letzten Jahr hat Projektleiter Francesco Stellacci neben den Forschungsaufgaben auch ein an die Werner Siemens-Stiftung gerichtetes Konzept für ein international vernetztes Virenforschungszentrum an der EPFL entworfen. Es ist als Ort des Austauschs und der gemeinsamen Forschungsanstrengungen verschiedener internationaler Gruppen im Kampf gegen Viren aller Art gedacht. «Es ginge grundsätzlich darum herauszufinden, welche Wirkstoffe gut gegen Viren sind», beschreibt Stellacci seine Vision eines Virenforschungszentrums.