Die Chips haben das Potenzial, die Halbleiterindustrie zu revolutionieren.
Die Chips haben das Potenzial, die Halbleiterindustrie zu revolutionieren.

Der Erfinder des Einzelatom-Schalters

Die Textilfabrik seines Vaters mochte Jürg Leuthold nicht übernehmen. Zum Glück. Denn als Physiker entwickelte er Innovationen, die in der Technologieszene weltweit für Aufsehen sorgten und zum Standard weiterentwickelt wurden.

Die Vorgabe war so klar wie atemberaubend: «Sie haben freie Hand, wie Sie in Ihrer Forschung vorgehen. Aber in zwei Jahren muss Ihr Name in der Telekom-Szene weltweit bekannt sein.» Mit diesen Worten wurde Jürg Leuthold 1999 von seinem Vorgesetzten in den Bell Laboratories in den USA als Postdoktorand begrüsst. Die «Bell Labs» galten schon damals als die Institution für technologische Spitzenforschung, die zu industriell verwertbaren Produkten in Elektrotechnik und Telekommunikation führt.
Jürg Leuthold erhielt die Aufgabe, einen Chip zu entwickeln, der Daten schneller verarbeiten kann als alle bisherigen Chips auf dem Markt. Sein Vorgänger war an der Aufgabe gescheitert. «Ich kam ebenfalls ins Schwitzen, als der Vorgesetzte alle zwei Wochen nachfragte, ob ich mit meinen Berechnungen fertig sei und man einen Prototyp herstellen könne», erzählt Jürg Leuthold. Mit Schweizer Gründlichkeit nahm er sich sieben Monate Zeit für die Berechnungen. Es lohnte sich: Nach zwölf Monaten stellte der 34-Jährige auf einer Weltkonferenz für Glasfaserkommunikation einen neuartigen optischen Chip vor.
Der Chip brach sogleich den Weltrekord in der Geschwindigkeit der Datenverarbeitung. Und er kam zur richtigen Zeit: Es war um die Jahrtausendwende, erste Musikdienste wie «Napster» kamen auf, und die Datenmenge im Internet stieg rasant an. Für Jürg Leuthold bedeutete der neue Chip: Auftrag erfüllt. Sein Name war in der Telekom-Szene gesetzt. Wenige Tage später überreichte ihm sein Vorgesetzter eine Firmenkreditkarte – um ein eigenes Labor einrichten zu können.

Vom Mechaniker gelernt

Das Faible für Technik kommt bei Jürg Leuthold nicht von ungefähr. Er wuchs im Toggenburg auf, sein Vater war Besitzer einer Textilfabrik im ländlichen Neckertal. Schon als Kind schaute Jürg Leuthold dem Mechaniker beim Reparieren der Maschinen zu. Im Teenageralter übernahm er diese Aufgabe dann meist selbst. Doch Textilfabrikant wollte er nicht werden. «Dazu war mein Wunsch nach Antworten auf grundlegende Fragen zu gross: Was hält die Welt zusammen? Was ist Licht?», blickt Leuthold zurück.
Antworten fand er im Studium der Physik an der ETH Zürich. Schon bald wandte er sich der Photonik zu, jenem Teilgebiet der Physik, das sich optischen Verfahren zur Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Informationen widmet. Hier waren viele Grundsatzfragen noch ungeklärt, und es bestand die Aussicht auf industrielle Anwendungen – die perfekte Mischung für Jürg Leuthold. Durch seine Dissertation half er mit, Prozessoren zu entwerfen, die auf der Basis von Licht – statt Elektronen – funktionieren und damit schneller sind. Die Arbeit stiess in der Industrie auf Interesse und führte ihn zu den Bell Labs. Seine dort entwickelten Chips wurden aufgegriffen und weiterentwickelt. Sie sind heute in abgewandelter Form in den meisten Weitverkehrsnetzen der Glasfasertechnologie zu finden.

Namhafte Preise und 25 Patente

So bravourös er als Postdoktorand die ihm gestellte Aufgabe erfüllen konnte, so erfolgreich ging seine Karriere als Forscher und Entwickler weiter.

25 Patente, der Landesforschungspreis von Baden-Württemberg und weitere Auszeichnungen sowie namhafte Drittmittel unter anderem vom Europäischen Forschungsrat zeugen davon. Der Fokus seiner Arbeit ist seit der Dissertation derselbe geblieben: Hochgeschwindigkeits-Kommunikation auf optischer Basis. «Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis. Ich möchte mithelfen, das Leben der Menschen durch neue Kommunikationstechnologien einfacher zu machen», sagt Jürg Leuthold. Für erneutes Aufsehen in der Branche sorgt er seit ein paar Jahren mit der Entwicklung einer neuartigen Einzelatom-Technologie – sie wird von der Werner Siemens-Stiftung unterstützt.

Text: Adrian Ritter
Fotos: Felix Wey