Der Mikrochip von morgen
Von der Kaffeemaschine bis zum Grossrechner – Mikrochips sind in praktisch jedem technischen Gerät zu finden. Die Chips wurden in den letzten Jahren zwar kleiner und schneller, doch mittlerweile stösst die Miniaturisierung an ihre Grenzen. Denn je kleiner die Bauteile der Chips werden, desto weniger effizient arbeiten sie – immer mehr Energie geht durch Leckströme und Abwärme verloren. Wenn sich der Atomschalter in den derzeit laufenden Tests bewährt, wird dieses Problem gelöst sein.
«Wir brauchen für die Zukunft noch kleinere, aber effizientere Chips. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine grundsätzlich neue Technologie gefragt», ist Professor Jürg Leuthold überzeugt. Er leitet das Institut für Elektromagnetische Felder an der ETH Zürich und will mit seiner Forschung die Halbleiterindustrie revolutionieren. Gemeinsam mit Professor Thomas Schimmel vom Karlsruher Institut für Technologie und Professor Mathieu Luisier von der ETH Zürich will er die Grundlagen für die Chips von morgen legen. Das Ziel: 100-mal kleiner und 100-mal energiesparender – bei mindestens gleich schneller Datenverarbeitung.
Tanzende Einzelatome
Die Forschenden haben ein Bauteil für Mikrochips entwickelt, das nur noch zehn Nanometer gross ist und – das ist fundamental neu daran – auf der Ebene einzelner Atome funktioniert. Ein solches Nano-Bauteil besteht aus einem Silber- und einem Platinplättchen, die sich an einer Stelle bis auf einen winzigen Spalt annähern: Mit einer minimalen elektrischen Spannung wird ein einzelnes Atom zwischen den beiden Plättchen verschoben, was ein digitales Signal erzeugt (vgl. Grafik). Von diesem Prinzip ist der Name abgeleitet: Einzelatom-Technologie.
In den Rechnern der Zukunft sollen also Millionen von einzelnen Atomen tanzen und so Informationen übertragen. Das Prinzip erinnert an das menschliche Gehirn mit seinem Feuerwerk an Neurotransmittern und Ionen, die zwischen den Milliarden von Nervenzellen hin und her schiessen. «Das menschliche Gehirn vollbringt mit sehr geringem Energieverbrauch eine enorme Rechenleistung. Mit der Einzelatom-Technologie wollen wir ähnlich effiziente Strukturen schaffen», sagt Jürg Leuthold.
Erstaunliche Alleskönner
Das neue Nano-Bauteil, das derzeit in Zürich und Karlsruhe entsteht, ist ein Alleskönner. Es kann Prozesse ein- und ausschalten und ist damit in allen elektronisch gesteuerten Geräten einsetzbar. Gleichzeitig kann es Daten verarbeiten und speichern. «Es ist der kleinstmögliche Speicher, den man sich vorstellen kann», sagt Jürg Leuthold. «Wir bewegen uns damit an den Grenzen der Physik.»
Doch damit nicht genug. Der Winzling ist auch ein Modulator, der elektrische Signale in Lichtsignale umwandeln kann und umgekehrt. Das ist für die Datenübertragung in optischen Glasfaserkabeln äusserst nützlich: Die Nano-Bauteile können beim Sender die elektrischen Signale etwa aus Handy und Computer in optische (photonische) Signale umwandeln und beim Empfänger wieder zurückverwandeln. Werden die Nano-Bauteile millionenfach parallelgeschaltet, könnten sie massgeblich dazu beitragen, die ständig wachsende und mit immer höherer Geschwindigkeit übertragene Datenmenge im Internet zu bewältigen.
Asien steht vor der Tür
Der Forschungsverbund zwischen Zürich und Karlsruhe nennt sich neu «Zentrum für Einzelatom-Elektronik und -Photonik». Die beteiligten Forschungsgruppen sind prädestiniert für ihre Aufgabe. Thomas Schimmel ist einer der Pioniere auf dem Gebiet der elektronischen Schaltungen auf atomarer Ebene. Und Jürg Leuthold konnte in seiner bisherigen Forschung zeigen, dass auch photonische Schaltungen auf atomarer Ebene möglich sind. Zudem vermochte er als Erster, sowohl optische als auch elektrische Schaltelemente auf demselben Chip zu platzieren.
Es verwundert deshalb nicht, dass die asiatische Halbleiterindustrie bei Jürg Leuthold angeklopft und grosses Interesse an seinen Entwicklungen bekundet hat. Der Zürcher Professor hat jedoch ein anderes Ziel vor Augen: «Das nächste Silicon Valley soll in Europa entstehen. Dank der Unterstützung der Werner Siemens-Stiftung können wir eine Führungsrolle in der Halbleiterelektronik von morgen übernehmen.»
Mit den Mitteln der Stiftung kann das «Zentrum für Einzelatom-Elektronik und -Photonik» unter anderem vierzehn Doktorierende und Postdoktorierende anstellen und zusätzliche Geräte zur Analyse und Optimierung der Nano-Bauteile anschaffen.
Industriepartner gefragt
Bis 2021 wollen die Forschenden die theoretischen und technologischen Grundlagen legen, um einen ersten Prozessor mit zwanzig Einzelatom-Bauteilen herzustellen. Bis 2025 sollen auch komplexe Prozessoren produktionsreif sein. Das Ziel: Die neuen Bauteile sollen in herkömmlichen Silizium-Chips (CMOS-Chips) integrierbar sein. Aber auch in der künstlichen Intelligenz, beim maschinellen Lernen und in autonomen Systemen sehen die Forschenden Anwendungspotenziale für ihre Nano-Bauteile.
Damit das europäische Silicon Valley Wirklichkeit wird, sind schon bald starke Industriepartner gefragt. An Interesse dürfte es nicht mangeln. Das Projekt in Zürich und Karlsruhe ist äusserst vielversprechend und hat das Potenzial, die Mikroelektronik und die uns umgebenden technischen Geräte zu revolutionieren.
Text: Adrian Ritter
Fotos: Felix Wey