Botschafterin der Meere
Kein anderes Forschungsschiff untersucht und analysiert die Meere so umweltfreundlich und elegant wie die Segeljacht «Eugen Seibold». So erstaunt es nicht, dass ihr die Herzen zufliegen, wo immer sie gesichtet wird. Dennoch wäre sie fast aus dem Report davongesegelt, ist doch ihre Unterstützung durch die Werner Siemens-Stiftung 2019 mit der ersten Forschungsreise zu Ende gegangen. Doch nun kommt es zu einer Fortsetzung: Die Werner Siemens-Stiftung übernimmt für zehn Jahre die Betriebskosten der «Eugen Seibold».
Die Crew der «Eugen Seibold» wollte eigentlich schon im Sommer 2019 den kompletten Atlantik vom tropischen Süden bis zum subpolaren Norden beproben. Doch nach den Expeditionen in die subtropischen Atlantik-Regionen von Lanzarote, Madeira und den Azoren sowie in den östlichen Nordatlantik musste das Team im darauffolgenden September zur Kenntnis nehmen: Für den rauen Nordatlantik war die elektrische Infrastruktur an Bord zu wenig abgesichert. Vor allem die zentrale Batterie, die die Geräte an Bord mit Strom versorgt, gelangte ans Limit. Wäre sie bei einem Sturm komplett ausgefallen, hätte die Crew für die schnelle Heimkehr nur noch auf einen zweiten, mobilen Stromgenerator zurückgreifen können. «Das war zu unsicher», erzählt Professor Gerald Haug, der Erfinder der «Eugen Seibold» und Direktor der Abteilung Klimageochemie am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. «Die Stürme im Nordatlantik können sehr ungemütlich sein.»
Höhere Betriebskosten
Doch damit nicht genug. Auf der «Eugen Seibold» sind die besten und neuesten Messgeräte installiert – «die alle auch wunderbar funktionierten», betont Gerald Haug. «Trotzdem gehört es zum Forschungsalltag auf hoher See, dass ständig irgendetwas kaputt geht.» So mussten die wissenschaftlichen Geräte und Einbauten nachgebessert, optimiert und neu kalibriert werden. Die Erfahrungen aus dem ersten Jahr zeigten, dass die Betriebskosten der «Seibold» zu niedrig veranschlagt wurden. «Eine Reparatur kostet schnell einmal 20 000 Euro», so Haug. Das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz musste 2019 für die Forschungsreisen, für wissenschaftliche Geräte und Nachbesserungen der Elektrik und Elektronik etwa drei Millionen Euro aufwenden. Es war absehbar, dass der Betrieb der «Seibold» in den kommenden Jahren ähnlich hoch ausfallen würde. Deshalb hat die Stiftung «Forschungsschiff S/Y Eugen Seibold» um einen Nachtragskredit von drei Millionen Euro für den Betrieb der «Seibold» bei der Werner Siemens-Stiftung angefragt. Damit wären die planbaren Kosten, ein Budget für unvorhersehbare Kosten und der Betrieb der Forschungsjacht für die nächsten zehn Jahre gedeckt.
Ein Notfall der anderen Art
Die Generalüberholung der «Eugen Seibold» dauerte von September 2019 bis Februar 2020 und wurde in Werften in Bremerhaven und Kiel vorgenommen. Danach verfügte die Forschungsjacht über drei Möglichkeiten der Stromversorgung und war damit auch für eine notfallmässige Heimkehr gerüstet, sollten bei der Nord-Süd-Beprobung des Atlantiks unerwartete Probleme auftreten. Niemand hatte jedoch mit einer Pandemie gerechnet. Ab März 2020 zwang das neuartige Coronavirus die Menschen in die Pause. Die Häfen schlossen. Auch die «Seibold» musste im Hafen bleiben. Bis Ende Juni 2020. Erst dann konnten Crew und Wissenschaftler (nach negativen Corona-Tests) den geplanten Transekt vom subpolaren Nordatlantik bis zum äquatorialen Atlantik in Angriff nehmen. Von Bremerhaven aus steuerten sie die «Seibold» durch die Nordsee zu den Färöer-Inseln, weiter nach Island und bis an den Rand des Arktischen Ozeans. Neben dem Projektleiter und Geologen Ralf Schiebel haben die Meeresbiologinnen Hedy Aardema und Maria Calleja, der Meeres-Chemiker Hans Slagter sowie die Atmosphärenforscher Antonis Dragoneas und Isabella Hrabe de Angelis wesentlich zum Erfolg der Expedition beigetragen. Etappenweise und im Schichtbetrieb nahmen sie Wasser- und Luftproben und unterzogen diese gleich an Bord einer umfassenden Analyse. Das Wasser untersuchten sie unter anderem mithilfe von zwei Massenspektrometern und einem Durchfluss-Zytometer auf wichtige Umweltparameter hin – wie Temperatur, Salzgehalt, Chlorophyll, Nährstoffe, Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, CO2, Spurenmetalle und pH-Wert. In den Luftproben bestimmten sie den CO2-Gehalt, Aerosole und andere Partikel. Auch werteten sie das Plankton der oberen Wassersäule aus.
Erfolgreiche Messungen
Die täglichen Messungen lieferten Terabytes an Daten. Diese wurden zuerst auf Festplatten an Bord gespeichert. Ein eigens konzipierter Router integrierte die Daten der Messgeräte, des Navigationssystems und des Logbuchs in einem einheitlichen Protokoll – ein weltweit einzigartiges System, das schon während der Expedition eine einfache Verarbeitung erlaubte und die Verortung sämtlicher Daten ermöglichte. Die Big Data schickte das wissenschaftliche Team zur weiteren Analyse auf die Server des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Dort werden die Daten nun von den Arbeitsgruppen Mikropaläontologie, Geochemie, Organische Isotopen-Geochemie, Isotopen-Biogeochemie, Paläoklimatologie, Aerosol-Analyse und Mikroskopie sowie Aerosole und Luftqualität umfassend ausgewertet. Bevor nördlich von Island die ersten Eisschollen aufgetaucht wären, wendeten die erfahrenen Skipper die «Eugen Seibold» und steuerten sie ab Ende Juli 2020 wieder etappenweise südwärts Richtung Äquator. Die Crew schaffte es, den nördlichen Teil des wissenschaftlichen Transekts trotz Stürmen und schwerer See – und unwägbaren Quarantäne-Bestimmungen in den Häfen – bis ins Madeira-Becken erfolgreich zu beproben. Die Arbeiten auf der milderen südlichen Etappe bis in den tropischen Atlantik waren dann nur noch von Beschränkungen wegen Covid-19 terminiert.
Sympathieträgerin
Die segelnde Forschungsjacht kommt sehr gut an und hat mittlerweile einen hohen Bekanntheitsgrad in Deutschland, berichtet ihr Erfinder Gerald Haug. «Viele Bundesminister und selbst der Bundespräsident finden die Mission der ‹Eugen Seibold› sympathisch. Und wenn ich dann erzähle, wie unkompliziert die Idee der ökologischsten Forschungsjacht der Welt dank der Finanzierung der Werner Siemens-Stiftung realisiert werden konnte und dass in unserer überregulierten Welt nur ein Handschlag ihre Entstehung besiegelt hatte, dann staunen alle doch sehr und finden es einfach wunderbar.» Dass die private Werner Siemens-Stiftung 3,5 Millionen Euro à fonds perdu für den Bau einer segelnden Forschungsjacht bewilligte, wird ihr hoch angerechnet. Gerald Haug: «Die Entstehungsgeschichte der ‹Seibold› zeigt, dass Philanthropen mutig Dinge anders machen und ein vielversprechendes Projekt zugunsten des Gemeinwohls rasch und ohne langwierigen juristischen Aufwand ermöglichen können.»
Komplettes Profil des Atlantiks
Ende August 2020 erreichte die Crew der «Eugen Seibold» ihr Ziel: Sie hatte das erste komplette Profil des Nordatlantiks erstellt. Gerald Haug: «Wir kennen nun den aktuellen biologischen, chemischen und physikalischen Zustand des Atlantiks vom arktischen Eiswasser bis zu den tropischen Wassermassen beim Äquator. Das gab es bis jetzt noch nie.» Noch ist es zu früh für Schlussfolgerungen aus den erhobenen Daten. Doch ein paar Vermutungen haben sich bereits mit der ersten grossen Forschungsreise der «Seibold» erhärtet. So scheinen Plankton-Gemeinschaften polwärts zu «wandern», was an Verschiebungen der Strömungssysteme liegen könnte und an temperaturgebundenen Grössen wie dem Sauerstoffgehalt des Meerwassers. Dadurch ändert sich nach und nach das marine Nahrungsnetz – was letztendlich auch die Fischbestände tangiert, und damit die Nahrungsgrundlage eines Grossteils der Menschheit. Wie sich die Ozeane in Zeiten der Klimaerwärmung weiter verändern, das sollen die kommenden Forschungsexpeditionen der «Eugen Seibold» wissenschaftlich fundiert aufzeigen – dank des Betriebskredits der Werner Siemens-Stiftung sind sie für die nächsten zehn Jahre finanziell gesichert.