Wie die Meere das Klima beeinflussen
In den letzten fünfzig Jahren haben sich die oberen 75 Meter der Meere um rund 0,55 erwärmt. Das klingt nach wenig, ist es aber nicht. Das Meer sollte nicht wärmer werden. Plus 1 Grad gilt heute als Limit. Danach wird es heikel, sind sich die Forscher einig. «Nicht nur würde der Meeresspiegel unangenehm hoch steigen», sagt der Paläoklimatologe Gerald Haug. «Auch die Meeresströmungen könnten sich ändern.» Und das wiederum hätte fatale Auswirkungen auf das ganze Klima.
Gerald Haug ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und Professor an der ETH Zürich. Als mehrfach ausgezeichneter Paläoklimatologe weiss er viel darüber, wie es dem Klima früher ging, zum Beispiel während der Eiszeiten. Und er hat herausgefunden, dass starke Klimaänderungen zum Untergang von Hochkulturen beitragen können, so geschehen bei den Mayas und der chinesischen Tang-Dynastie. In den nächsten fünf bis zehn Jahren will er herausfinden, wie sich die Meere im Zeitalter der Klimaerwärmung verändern.
Gigantische Biomasse
Bisher hat der Ozean als gigantischer Wärme- und CO2-Puffer gewirkt. Da er so riesig ist – zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt –, ist auch die Biomasse enorm, die er beherbergt. Die Pflanzen in den Meeren, insbesondere die Algen, nehmen mehr CO2 auf als alle Landpflanzen zusammen. Die Meerespflanzen sind somit der wichtigste CO2-Puffer auf der Erde. Doch damit nicht genug. Der Ozean leistet eine weitere gigantische Arbeit: Er nimmt rund 90 Prozent der mensch- gemachten Wärme auf. Das geschieht nicht ganz «gratis». Der «Preis» dafür ist, dass sich das Meer erwärmt, dass es versauert und weniger Sauerstoff aufnehmen kann.
Permanenter El Niño droht
Wird der Ozean wärmer, beeinflusst das die grossen Luft- und Meeresströmungen – und damit ganz stark unser Klima. Es besteht die Gefahr, dass der klimabestimmende Golfstrom vom angestammten Kurs abkommt. «Ein um drei Grad wärmeres globales Klima wird vermutlich dazu führen, dass wir permanent mit dem Wetterphänomen El Niño konfrontiert wären», sagt Gerald Haug. Bisher trat El Niño alle zwei bis sieben Jahre zwischen Südamerika und Indonesien und Australien auf. Dabei kam es zu ungewöhnlich hohen Wassertemperaturen vor der amerikanischen Küste, die Fische starben massenweise, und gewaltige Niederschläge, Überschwemmungen und Orkane verwüsteten grosse Landstriche in Süd- und Nordamerika.
Wie geht es dem Ozean heute?
Viele der komplexen Wechselwirkungen zwischen Wasser, Sonne, Luft, Boden und Lebewesen kennt man heute. Doch noch lange nicht alle. Wie sich der Ozean in einem wärmeren Klima verändert, das soll systematisch untersucht werden, beschlossen Gerald Haug und sein Team vor einigen Jahren. Wie geht es dem Ozean physikalisch (Temperatur, Salzgehalt), biologisch (Algen, Kleinstlebewesen) und chemisch (Gehalt an O2, CO2 und Spurenmetallen), und wie entwickelt er sich über die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre?
Ökologischer als bisher
Es ist eine Herkulesaufgabe, die Meere so umfassend zu untersuchen – und benötigt mehr Forschungsschiffe. «Unsere Studien sind vor allem spannend, wenn wir sie sommers wie winters durchführen können», sagt Haug, «dieser saisonale Unterschied ist für das Verständnis des Klimas entscheidend. Dazu bräuchten wir alle drei Monate ein Schiff – das würde sehr teuer.» Die deutschen Forschungsschiffe «Sonne» und «Meteor» kosten zirka 40 000 Euro pro Tag. Sie müssten drei Jahre im Voraus gebucht werden, für gerade mal vier Wochen Nutzungsdauer. Und sie kontaminieren mit ihren Stahlrümpfen und Motoren das Wasser und die Atmosphäre, die untersucht werden. Auch sind sie für viele Untersuchungen zu gross und schwer. «Manchmal ziehen diese teuren Riesenschiffe nur 60 cm grosse Netze hinter sich her, in denen Plankton gesammelt wird», weiss Gerald Haug. Und die bestehenden Forschungsschiffe sind oft nicht verfügbar, wenn sich forschungsrelevante Ereignisse ankündigen. «Der letzte El Niño vor eineinhalb Jahren war vorhersehbar. Dass kein Forschungsschiff verfügbar war, um die Bio-Geo-Chemie des El Niño zu untersuchen, ist aus wissenschaftlicher Sicht mehr als bedauerlich», sagt Gerald Haug. «Denn wir spüren bis heute die Nachwirkungen, zum Beispiel die Trockenheit am Horn von Afrika, die zu Hungersnot geführt hat.»
Eine Vision wird Realität
Aus diesen Gründen fingen Gerald Haug und sein Team an, über das optimale Forschungsschiff nachzudenken: Das Schiff sollte alle wichtigen Untersuchungsinstrumente an Bord haben und trotzdem leicht und schnell sein … Es dürfte das Meer und die Atmosphäre nicht mit Abgasen verschmutzen … Es müsste der Forschergruppe jederzeit zur Verfügung stehen … und bezahlbar sein. Gerald Haug suchte nach Verbündeten für seine Vision und fand sie 2015 im erfolgreichen deutschen Werftbesitzer Michael Schmidt – und in der Werner Siemens-Stiftung, die den Bau des innovativen Forschungsschiffs finanzierte.
So ist in den letzten zwei Jahren das grünste Forschungsschiff der Welt entwickelt worden: eine schnelle und sichere Segeljacht, die an Bord alle nötigen Analysegeräte installiert hat, um die Ozeane ökologisch und bezahlbar zu untersuchen. Sie wird im Mai 2018 auf den Namen «Eugen Seibold» getauft werden, zu Ehren des mehrfach ausgezeichneten, 2013 verstorbenen deutschen Meeresgeologen.
Text: Brigitte Blöchlinger
Fotos: Margit Wild