Wirkstoffe aus der Urzeit
Ist eine Reise in die Vergangenheit die Zukunft der Medizin? Im Projekt Paläobiotechnologie in Jena gehen der Biotechnologe Pierre Stallforth und die Archäologin Christina Warinner das Problem der Antibiotikaresistenzen auf ungewöhnliche Weise an: Sie suchen im Zahnstein von Frühmenschen nach Stoffen, die gegen heutige resistente Bakterien wirken.
Antibiotikaresistente Bakterien gelten als eine der grössten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Fieberhaft suchen Forschungsgruppen auf der ganzen Welt nach neuen Wirkstoffen. Das Projekt Paläobiologie in Jena im deutschen Bundesland Thüringen tut dies an einem überraschenden Ort: im Zahnstein von bis zu 100'000 Jahre Überresten von Frühmenschen.
Zähne sind für Anthropologinnen und Anthropologen Schatzkammern. Denn Zähne sind derart hart, dass sie die Jahrtausende im Boden besser überdauern als andere Teile des Skeletts. Und im Zahnstein konservieren sich Nahrungsreste und Bakterien. Letzteres will das Projekt Paläobiotechnologie in Jena nutzen, um neue Antibiotika zu finden. Möglich ist das, weil Bakterien schon immer antibiotische Stoffe produziert haben, etwa um sich gegen Nahrungskonkurrenten zu wehren. Der Vorteil solcher Antibiotika aus der Frühzeit: Sie kommen in der Natur längst nicht mehr vor – entsprechend haben heutige Bakterienstämme keine Abwehrstrategie mehr gegen sie.
Die Suche im Zahnbelag übernimmt in dem innovativen Projekt die Archäologin Christina Warinner vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Ihr Labor verfügt über eine Sammlung von Tausenden archäologischen Funden, die bis 100'000 Jahre zurückreichen. Haben Warinner und ihr Team in diesen Proben Erbgut-Spuren identifiziert, die für die Produktion von antibiotischen Naturstoffen zuständig sein könnten, gehen sie weiter an ihren Kollegen Pierre Stallforth, Chemiker und Biotechnologe am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena.
Er baut mit seinem Team die DNA-Abschnitte im Labor ins Erbgut heutiger Bakterien ein. In Stahltanks werden die Laborbakterien gezüchtet, vermehrt und zur Produktion der prähistorischen Antibiotika angeregt. Schliesslich gilt es, die Wirkstoffe direkt gegen multiresistente Erreger zu testen. Einige aussichtsreiche Kandidaten sind bereits im Labor von Pierre Stallforth in der Abklärung.
Zahlen und Fakten
Projekt
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – und das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena suchen in prähistorischer DNA nach Naturstoffen, die sich unter anderem als Antibiotika nutzen lassen.
Unterstützung
Die Werner Siemens-Stiftung unterstützt den Aufbau des neuen Forschungsfeldes Paläobiotechnologie in Jena mit einer Professur, zwei Postdoktoranden, sieben Doktorierenden, zwei Technischen Assistenten und der Finanzierung von Infrastruktur.
Mittel der Werner Siemens-Stiftung
10 Mio. Euro
Projektdauer
2020–2029
Projektleitung
Dr. Pierre Stallforth, Gruppenleiter Chemie Mikrobieller Kommunikation am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – in Jena
Akademische Partnerin
Prof. Dr. Christina Warinner, Gruppenleiterin Mikrobiom-Forschung am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und Assistenzprofessorin an der Harvard University bei Boston